Der Verhüllte

Wie erfahre ich von Gott? Wie spüre ich seine Gegenwart? Wie werde ich seiner gewahr?

In christlichen Klöstern hat der Habit, die Ordenstracht, oft eine große Kapuze. Mönche, die oft von ihren Tagesaufgaben gefangengenommen sind – in Klöstern wird viel und oft hart gearbeitet – haben beim Gebet so die Möglichkeit, die Anforderungen des Tages abzuschirmen; eine Kapuze – ursprünglich ein Hilfsmittel zum Schutz gegen Regen und Wind – hilft bei der Konzentration auf das Wort Gottes und das Gebet.

In Sure 73 wird der Prophet Mohammed als „Verhüllter“ angesprochen. Er war so von seiner Sendung in Anspruch genommen, dass er seine Frau bat, ihn zu verhüllen. (Tafsir A-Qur’an Al-Karim) Auch hier: das Vermummen als äußeres Zeichen der Abwendung vom „Tagesgeschehen“.

Und der Engel, der ihn im Namen Gottes anspricht, tadelt ihn nicht, sagt nicht: ‚Geh nach draußen und komm Deiner Berufung nach! Tu Deine Pflicht!’ Er macht ihm und allen ein viel größeres Geschenk:

Er lehrt ihn, das Wort Gottes zu lesen und zu durchdringen. Nicht am Tage, wo die Sendung ihn umtreibt, sondern in der Nacht, wo Habitus („Verhüllter“) und Zeit (Nacht) einander ergänzen:
„O du Verhüllter! Steh während der Nacht im Gebet […] und trage den Koran vor,
bedächtig
und deutlich.
Wahrlich, wir werden dir ein gewichtiges Wort anvertrauen. Fürwahr, das Gebet in der Nacht macht stärkeren Eindruck und lässt leichter das richtige Wort finden, während du am Tage lange den Geschäften nachgehen kannst. So gedenke des Namens deines Herrn und widme dich ihm voll und ganz. Der Herr des Ostens und des Westens! Es gibt keinen Gott außer ihm; darum nimm ihn zum Anwalt.“ 73:1-9

„Ein gewichtiges Wort“. Was sind also die Elemente der Meditation im Koran?
– Lesen des Korans, bedächtig und laut. („ein gewichtiges Wort“)
– Gebet in der Nacht („macht stärkeren Eindruckund lässt leichter das richtige Wort finden“)
– Meditation („gedenke des Namens Deines Herrn und widme dich ihm voll und ganz“)
– Bittgebet, Vertrauen in Gott („nimm ihn zum Anwalt.“)

Koranlektüre, Gebet, Meditation und Bitte bilden hier eine Einheit, wie sie ähnlich sich auch in christlichen Gebetsformen und Gottesdiensten findet. Ich schließe den Bogen: das Nachtgebet der verhüllten christlichen Mönche ist ganz ähnlich aufgebaut: Schriftlesung, Psalmengebete, Meditationen, Bittgebete. Und wer um vier Uhr morgens zur Vigil aufsteht und mit den Mönchen mitfeiert, erlebt dabei die besondere schlaftrunkene Wachheit, die der Koran so beschreibt: „Fürwahr, das Gebet in der Nacht macht stärkeren Eindruck und lässt leichter das richtige Wort finden“.

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