„Was Wir auch an Versen aufheben oder in Vergessenheit fallen lassen: Wir bringen bessere oder gleichwertige dafür. (…).“ (2:106)
Die Verse 2:97-112 stehen in direktem Zusammenhang mit den vorhergehenden. Das Thema ist weiterhin die Offenbarung. Diesmal aber wird der Missbrauch der Offenbarung und deren Verfälschung thematisiert.
Dies geschieht wieder einmal vor dem Hintergrund der zu Anfang der Sure skizzierten Ursünde; wir erinnern uns: der ‚Unruhestifter‘. Sie führen Gott im Munde, sobald sie aber unter sich sind, wenden sie sich den eigenen Dämonen zu (vgl. 2:8-14).
Als Feinde Gabriels, der die Offenbarung dem Propheten vermittelte, sind sie Feinde der Offenbarung:“Sooft sie ein feierliches Versprechen geben, will dann nicht ein Teil von ihnen es verwerfen? Ja, die meisten von ihnen glauben nicht. Und als zu ihnen ein Gesandter von Allah kam, ihre Offenbarung bestätigend, da warf ein Teil jener, denen die Schrift gegeben worden war, Allahs Buch über die Schulter, als ob sie es nicht kennten. Und sie folgten dem, was die Satane in Salomos Reich vorbrachten. (…)“ (2:100-102)
Sind die ‚Teufel‘, denen sich die Unruhestifter zuwenden, mit diesen ‚Satanen‘ gemein? Möglicherweise; jedenfalls geht es auch hier um einen Gegenentwurf zur Offenbarung Gottes, der durch die Unruhestifter im Reich Salomos verbreitet wird.
Salomon trifft die Königin von Saba; Relief von Lorenzo Ghiberti an der bronzenen Paradiespforte des Baptisteriums in Florenz, 1425ff. Quelle: Wikipedia
Was fällt auf? – Es ist nicht angedeutet, dass sie die Schrift als solche und die Offenbarung Gottes verfälschten und korrumpierten: „Nicht, dass Salomo ungläubig war, vielmehr waren die Satane ungläubig, indem sie den Menschen Zauberei lehrten und was auf die beiden Engel in Babylon, Harut und Marut, herabgekommen war.“ (2:102)
Und die Satane, die da sprechen, bekommen im Folgenden menschliche Züge. Es scheint fast, als ob die Satane durch Menschen sprechen, die auffällige Parallelen zu den Unruhestiftern aufweisen. „(…) Doch lehrten sie keinen, ohne zuvor zu sagen: ‚Wir sind nur eine Versuchung: sei daher kein Ungläubiger!‘ Von ihnen lernte man, womit man Zwietracht zwischen Mann und Frau stiftet. Doch konnten sie ohne Allahs Erlaubnis niemandem damit schaden. Sie lernten von den beiden [den falschen Engeln Harut und Marut], was ihnen schadete und nichts nützte; und sie wussten wohl, dass, wer sich solches aneignet, keinen Anteil am Jenseits hat. und fürwahr, für Schlimmes verkauften sie ihre Seelen. O, dass sie es nur wüssten!“ (2:102)
Zweierlei muss also festgehalten werden:
1. Die Sünde dieser Verse besteht in zweierlei „Verfälschung“ der Offenbarung: zum Einen darin, dass der Unruhestifter Zauberei lehrt; zum anderen darin, dass er Zwietracht stiftet.
2. Die Sünde besteht nicht darin, dass die Offenbarung Gottes ‚umgeschrieben‘, also das Wort Gottes verändert würde. Weder in Bezug auf die ersten Offenbarungen der Bibel, noch in Bezug auf den Koran.
Offensichtlich geht es also um falsche Lehren, die außerhalb der Offenbarung Gottes nicht die Schrift, sondern die Menschen, die ihnen glaubten, korrumpierten.
Die Heiligen Schriften können für vieles herhalten: man kann mit Bibel und Koran herumzaubern, man kann Interpretationen liefern, mit denen man Unfrieden begründen kann, Unruhe stiften, Zwietracht säen kann. Das Ergebnis sind Zaubersprüche, Irrlehren, falsche Verse.
Man braucht nur in der Bibel und im Koran aufmerksam zu lesen, um zu entdecken, welche Botschaften der Dämonen Harut und Marut falsch sind. Das, was durch bewusste Fehlinterpretation der biblischen und koranischen Offenbarung Unruhe gebracht hat, all die Verse jenseits der Offenbarung, Zauberei, all dies wird durch die Offenbarung selbst aufgehoben.
„Was Wir auch an Versen aufheben oder in Vergessenheit fallen lassen: Wir bringen bessere oder gleichwertige dafür.“ (2:106)
Aus dem Zusammenhang wird deutlich: Gottes Offenbarung, wie sie in der Bibel überliefert ist, wird durch den Koran bestätigt (vgl. 2:89). Die Offenbarung entlarvt den Missbrauch ihrer selbst. Falsche Lehre wird durch die Schrift selbst aufgehoben.
Aus dem Zusammenhang ist völlig eindeutig herauszulesen, dass hier nicht gemeint sein kann, dass Verse des Korans oder der Bibel aufgehoben werden. Vielmehr geht es um jene falschen Lehren der Zauberei und Zwietracht, die in 2:102 so treffend beschrieben wurden.
Das zu wissen ermöglicht uns im folgenden, den eigentlichen Höhepunkt und die großartige Lehre dieses Abschnitts zu verstehen.
Dazu im folgenden Beitrag der kommenden Woche.
Noch einmal kurz zum Hintergrund dieses Artikels: von Muslimen höre ich öfters: ja, ursprünglich sei die Bibel ja Offenbarung Gottes gewesen, aber dann wäre sie verfälscht worden, und deshalb gelte sie nicht mehr als Gottes Offenbarung. Unter Berufung auf die „Aufhebung“ in Vers 2:106.
Ich als Christ kann – vor dem Hintergrund der vorangegangenen Beiträge – diese Argumentation durchaus nachvollziehen, sehe aber nicht, dass sie zwingend unmittelbar aus dem Text des Koran abgeleitet werden kann.
Jörg