Die da glauben, auch die Juden und die Christen (2:62-66)

Siehe, die da glauben, auch die Juden und die Christen und die Sabäer – wer immer an Allah glaubt und den Jüngsten Tag und das Rechte tut, die haben ihren Lohn bei ihrem Herrn. Keine Furcht kommt über sie und sie werden nicht traurig sein. Und als wir euer Versprechen entgegennahmen und den Berg über euch hoben: ‚Haltet an dem, was Wir euch gaben, mit Kräften fest und bedenkt, was darin ist, auf dass ihr gottesfürchtig seid!‘ Danach aber kehrtet ihr euch ab, und ohne Allahs Huld und Barmherzigkeit gegen euch wärt ihr verloren gewesen. Ihr kennt doch diejenigen unter euch, die sich hinsichtlich des Sabbats vergingen, und zu denen Wir sprachen: ‚Werdet ausgestoßene Affen!‘ Und wir machten sie zu einem warnenden Beispiel für die Mit- und Nachwelt und zu einer Lehre für die Gottesfürchtigen. “ (2:62-67)

In diesen sechs Versen zeigen drei Erzählstränge die ganze Fragilität des Glaubens auf; dabei steht jeder Strang nicht für sich, sondern alle dreie müssen in ihrem gemeinsamen Zusammenhang gelesen werden.

Christen, Juden, Sabäer

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Gennadios Scholarios II. mit Mehmed II.
Foto: MARKELLOS (Wikipedia)


Die Grundaussage der ersten Lehre: es gibt einen gemeinsamen Glauben all derer, die an Gott und den Jüngsten Tag glauben und die das Rechte tun. Hier ist zunächst von Juden (und nicht von Israel) die Rede. Also sind klar nicht die Angehörigen bestimmter Völker, sondern die Gläubigen der anderen Religionen gemeint. Obgleich keine Muslime, glauben wir an denselben Einen Gott. Die Sabäer, eine kleinere Religionsgemeinschaft, mögen sinnbildlich dafür stehen, dass auch andere monotheistische Religionen in dieser Großen Umma (wir Christen sagen Ökumene) aller Gottgläubigen stehen. Heute finden zum Beispiel viele Sikh in Deutschland eine Heimat.

Natürlich wird die Abgrenzung zwischen Muslimen als Gläubige auf der einen und uns Christen und Juden auf der anderen Seite nicht aufgehoben. Natürlich sind wir im eigentlichen Sinne als Nichtmuslime Ungläubige. Dennoch, in Abstufung sind wir letztlich auch wiederum gläubig. Und unser Glaube hat auch Heilrelevanz: keine Furcht und Traurigkeit kommt über uns.

Es gibt auch Aussagen, die eine andere Tendenz aufweisen. Das Spannende ist nun, dass eine Interpretation dieser Stellen vor dem Hintergrund von Vers 2:62 nicht nur möglich, sondern in allen (von  mir entdeckten) Fällen plausibel ist, der umgekehrte Fall aber nicht. Darauf komme ich an den entsprechenden Stellen genauer zu sprechen.

Kurz: gottgläubige Nichtmuslime mögen im islamischen Sinne Ungläubige sein, die Heilsmöglichkeit stellt dieses Irregehen aber nicht in Frage.

Der Berg

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Der Berg Horeb (Sinai)
Foto: Tamerlan (Wikipedia)


Die biblische Geschichte – viele Ereignisse spielten sich im Umfeld von Bergen ab. Die Arche des Noach landete auf dem Berg Ararat in der heutigen Türkei (Dank Dir, Ramazan, für die Korrektur). An den Hängen des Tabor ruhten die Israeliten aus, bevor sie auf weitere Eroberungszüge gingen. Auf dem Karmel erwies sich Gott durch ein Feuerwunder als der Eine Wahre Gott – der Prophet Elias setzte dort dem Baalskult ein Ende. Dann der Berg Zion, der für Jerusalem, ja das ganze Land der Verheißung an die Kinder Abrahams steht. Die Programmatischste Rede Jesu, die Bergpredigt, wurde – ja wo wohl? – auf einem Berg gehalten, der heutzutage als „Berg der Seligpreisungen“ bekannt ist.

Der Koran jedoch bezieht sich, davon bin ich überzeugt, auf nur einen Berg, an dem Gott unser Versprechen entgegennahm. Das Versprechen, die grundlegenden Gebote des zwischenmenschlichen Miteinanders und die grundlegenden Gebote des Glaubens an Gott zu halten.  Der Berg, den Gott so „über uns hob“ indem er seine Weisung über uns – und zwar uns Christen und das Volk Israel – legte. Dieser Berg ist der Horeb, der uns auch als Berg Sinai bekannt ist. Hier offenbarte Gott dem Moses die zehn Gebote, die letztlich auch die Grundlage unseres christlichen Doppelgebots der Gottes- und Nächstenliebe sind. Und auch hier sind die Gläubigen hin und hergerissen zwischen dem Glauben an Gott und dem Glauben an die Götzen: sei dies nun ein Götzenbild in Form eines Kalbes, sei es das Gold, aus dem das Kalb geschmiedet wurde oder sei es die vermeintliche Macht seiner Schmiede. Das alte biblische Motiv scheint hier auf: das Volk verlässt die Wege Gottes, erkennt den Fehler, bereut und wird zuletzt wieder von Gott angenommen. Dies wird erläutert am Beispiel des Sabbats.

Die Affen

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Hamsterrad
Foto: Roland M. aus der deutschsprachigen Wikipedia


Wir verdanken unsere siebentägige Woche einem sehr weisen Gebot: der Sabbatruhe. In Anlehnung an den biblischen Schöpfungsbericht – Gott schuf Himmel und Erde an sechs Tagen, am siebten Tag ruhte er – wird die Wochentaktung zum Gebot gemacht. Tatsächlich ist die siebentägige Wochentaktung die einzige Zeittaktung, die nie angerührt wurde: es gibt Schaltjahre, Schaltmonate, Kalenderreformen, in denen ganze Tage verschwanden. Die Wochentage wurden durch die belegte Zeitrechnung hinweg nicht angetastet.

Sechs Tage Arbeit, am siebenten gilt das Gebot der Ruhe. Nun kennen wir das Andere auch: nicht jeder kommt immer zur Ruhe. Und es sind nicht nur Workaholics, die am siebenten (oder wie wir Christen am ersten) Tag der Woche nicht innehalten. Oft mag es sein, dass wir uns selbst dabei ertappen, keine Ruhe zu finden. Gute Freunde, die sich unsere Geschäftigkeit dann ein wenig ansehen, warnen uns: Pass gut auf Dich auf! Oder bleib eben in Deinem Hamsterrad gefangen! Der Vergleich mit dem Hamster ist kein Schimpfwort, eher eine Warnung, dass wir den Ruhetag nutzen sollten. Macht so weiter! Spielt weiter Affenbande! Findet nicht zur Ruhe! Werdet ausgestoßene Affen! Ihr tut euch selbst keinen Gefallen damit!

Nur in dieser Interpretation macht der Vergleich mit den Affen Sinn. Es geht nicht um Juden, Christen, Sabäer. Es geht um Menschen, die den Sabbat nicht ehren. Jeder läuft hier Gefahr, auch die Gläubigen, wer immer an Gott glaubt, Muslime, Juden, Christen, Sabäer.

Nur eine Interpretation, die in diese Richtung zielt, macht Sinn. Und nur eine solche Interpretation kann auch richtig sein, weil genau dies in Vers 2:67 explizite und unmissverständlich so geschrieben steht.

Wer auch immer diese Verse zum Grund nimmt, Juden, Christen und Sabäer als Affen zu verleumden oder wer umgekehrt behauptet, der Islam bezeichne Juden, Christen und Sabäer als Affen, instrumentalisiert den Koran und fällt damit unter die Kategorie der Sünder schlechthin: der Unheilstifter (2:8-16), Gott auf der Zunge, die eigenen Götzen im Herzen. Denn: er überliest bewusst und unverfroren die im Koran selbst explizite bezeugte Interpretation.

Muße als Grundtugend des Gläubigen Menschen

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Auguste Rodin, Le penseur (Der Denker)
Foto: Daniel Stockman (Flickr.com)


Es ist absolut wichtig, dass der arbeitende Mensch Ruhe für sich findet. Um über sich, seine Motivationen, seine Ziele, seinen Glauben, seine Positionen und vieles mehr klar zu werden, um zu denken, um aus dem Hamsterrad, aus dem Käfig der ausgestoßenen Affen zu entkommen, um einfach er selbst zu sein. Und nicht zuletzt: um Zeit zu finden für die größte und wichtigste Suche, auf die sich Menschen je eingelassen haben und einlassen werden: der Suche nach Gott.

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4 Antworten zu Die da glauben, auch die Juden und die Christen (2:62-66)

  1. Hallo, lieber Joerg,

    dies in (2:8-16) von Gott eingegebene Zeichen „Denn: er überliest bewusst und unverfroren die im Koran selbst explizite bezeugte Interpretation.“ zeigt tatsächlich deutlich, wie leicht Gläubige in einen Schleier verfallen können. Das betrifft eigentlich den gesamten Koran, der missinterpretiert oder bewusst überlesen wird.
    Als Muslim beobachtet man, dass eben viele Menschen, die vorgeben nach dem Koran zu leben, aufgrund des Auslebens nach Ihrem Verständnis leider häufig ein schlechtes Bild vom Islam hinterlassen.

    Liebe Grüße
    Hüseyin

  2. Ramazan sagt:

    Lieber Jörg,

    danke für diesen interessanten Artikel.

    Du hast geschrieben, dass Juden und Christen im eigentlichen Sinne als Nichtmuslime Ungläubige sind. Hierzu möchte ich erwähnen, dass Muslim übersetzt gottergeben bedeutet und sich nicht ausschließlich auf die islamische Religion bezieht. Wenn der Koran Muslim erwähnt, spricht er nicht nur mich als Anhänger der islamischen Religion an, sondern alle gottergebenen Menschen. Hierbei sollte auch bedacht werden, dass im Koran explizit darauf hingewiesen wird, dass dieser für die gesamte Menschheit geschickt wurde.
    Im Koran wird des Öfteren erwähnt, dass die rechtschaffenen Juden, Christen usw. ihren Lohn erhalten werden und keine Furcht haben sollen. Es wird nicht erwähnt, dass diese konvertieren sollen, da diese bereits Muslime, also gottergeben sind. Somit stellt Gott eigentlich eindeutig klar, dass es auch rechtschaffene und gottergebene Menschen außerhalb des islamischen Glaubens gibt und verspricht diesen sogar ihren Lohn bei ihm.
    Gleichzeitig droht Gott den nicht rechtschaffenen Juden, Christen usw., die zum Beispiel bewusst Gottes Wort zu ihren Vorteilen ändern bzw. interpretieren. Genau das sind diejenigen, die der Koran verurteilt und nicht den einfachen, rechtschaffenen Juden, Christen usw., der aus Liebe Gutes tut. Dieses Prinzip gilt auch für Muslime und wir könnten in den o. g. Sätzen Juden, Christen usw. jeweils mit Muslime austauschen. Gott achtet auf die Herzen bzw. die Intention und nicht auf bloße Äußerlichkeiten, die eigentlich nur dazu dienen das Herz zu „reinigen“.

    By the way: der Berg Ararat liegt in der heutigen Türkei 😉

    Viele Grüße und mach weiter so,
    Ramazan

  3. Lieber Jörg,

    das mit dem „Nichtmuslime sind gleichzeitig Ungläubige“ ist leider tatsächlich ein weitverbreiteter Irrglaube. Genau wie Ramazan es richtig deutet, sind es eben „Gläubige“ oder „Ungläubige“, egal welcher Religionsart sie angehören. Andersgläubige sind NICHT Ungläubige!

    Herzliche Grüße
    Hüseyin

  4. Joerg sagt:

    Lieber Hüseyin, lieber Ramazan,

    ich freue mich sehr über diese Korrektur. Es ist für uns Christen in der Mehrheit ganz klar, dass wir gemeinsam mit den Juden und Muslimen denselben Gott anbeten. In meiner Katholischen Kirche ist das auch so unmissverständlich in unserer „Verfassung“ bezeugt.

    Am Wochenende schreibe ich hierzu auch noch einen kurzen Artikel.

    Viele Grüße,

    Jörg

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