Hölle (2:39)

„Wer aber nicht glaubt und unsere Zeichen verleugnet, die sollen Bewohner des Feuers werden; darin sollen sie ewig verweilen!“ (2:39)

Sowohl im Koran als auch in der Bibel ist die Möglichkeit der grundsätzlichen Verworfenheit des Menschen bezeugt. Und nicht nur hier: die Vorstellung einer „Unterwelt“ ist in den meisten Religionen bezeugt.

Die „Unterwelt“ in den Religionen der Antike und des Mittelalters

So verschieden die Auffassungen in Antike und Mittelalter auch waren, so ähnlich waren sie in der Art und Weise ihrer mythologischen Ausprägung. Der Kosmos war dreigeteilt: in eine obere Welt Gottes / der Götter, die räumlich im / über dem Himmelsgewölbe angesiedelt ist, in die irdische Welt, die nach dem Tode verlassen wird und in die Unterwelt, die, wie auch immer sie ausgestaltet sein mag, unter dem Erdboden zu finden war. Ob diese lediglich als Aufenthaltsort aller Verstorbenen diente (etwa bei Homer), ein Ort der Strafe (frühes Christentum) ist oder abgestuft beides beinhaltet (etwa bei Platon, aber auch im Christentum), ob Läuterung möglich ist oder nicht, die grundsätzliche Dreiteilung der Welt bestimmt das Bild.

Hölle als Folterkammer Gottes?

Sowohl in der Bibel als auch im Koran ist das Bild des nie endenden Feuers bezeugt. ein solches Bild wird etwa illustriert in der Höllenwanderung Dante Alighieris in der „Göttlichen Komödie“. In seiner Schilderung unterscheiden sich die Höllenqualen nicht strukturell von der bildhaften Vorstellung der biblischen Schilderung. In den buntesten Farben werden die Leiden der sündigen Menschen gezeichnet. Uns kann diese Folterkammer Gottes jedoch nicht befriedigen: Es werden zwar die biblischen Aussagen vom ‚Heulen und Zähneknirschen‘ eindrucksvoll illustriert, wir finden das ewige Feuer (Mt. 5,25 und Mt. 25, 31-46), etwa in der brennenden Höllenstadt Dis; meinethalben mag auch jemand darauf verweisen, dass hier die allerletzte Konsequenz göttlicher Gerechtigkeit – ich stimme dem nicht zu – demonstriert wird, allerdings wird hier der Hiatus zur Grundaussage des liebenden Gottes, des Erbarmers tatsächlich nicht überbrückbar, der Widerspruch unlösbar. Eine solche, die schlimmsten irdischen Gräuel qualitativ und quantitativ übertreffende, ewige Hölle kann tatsächlich mit einem liebenden, erbarmenden Gott prinzipiell nicht in Einklang gebracht werden; sie kann nicht einmal von Gottes Liebe umfangen werden.

Die zwei Reihen der Überlieferung

Die Konsequenz, Gott könne immerwährendes Leid nicht zulassen, Hölle sei in ihrer Ewigkeit also prinzipiell unmöglich, kann aufgrund eindeutiger biblischer Aussagen – und der Koran bestätigt dies – hier nicht gezogen werden. Der Theologe Hans Urs von Balthasar, dessen Interpretation ich in dieser Frage folge, verweist in diesem Zusammenhang auf zweierlei „Reihen von Schriftworten, die wir nicht zu einer überblickbaren Synthese verbinden können.“ (Kleiner Diskurs über die Hölle, Ostfildern, 1985, S. 17.) Erstere, die „universalistischen Texte stellen den Willen und die Vollmacht Gottes, alle Menschen zu retten, in den Mittelpunkt […]: ‚Einer ist für alle gestorben‘ (2 Kor 5,14)“.(ebd.) Wenn die Heilstat Christi also für alle geschehen ist, so kann keiner außerhalb dieses Plans stehend gedacht werden. Andererseits erwähnen die oben zu vor erwähnten Perikopen die reale Möglichkeit ewiger Verdammnis; diese zweite Reihe, „die jede leichtfertige Schlussfolgerung (‚Es wird schon alles gutgehen‘) verbietet, und uns unerbittlich vor die ernsthafteste Möglichkeit unseres Verlorengehens stellt“, (ebd.) muss dementsprechend zusammen mit ersterer in einen Zusammenhang gestellt werden können.

Die reale Möglichkeit ewiger Verdammnis

Erlösung ist in der Heilstat Jesu bereits für alle Menschen, so von Balthasar, erwirkt. Die Sendung des Sohnes ist universal. Wenn aber nun, aus der größten Pervertierung von Freiheit heraus, ein Mensch sich gerade dieser Gnade verweigert, so stehe er nunmehr „nicht vor dem Kreuz, sondern hinter ihm, denn er widersteht seinem Rettungswerk ins Angesicht.“ (Theodramatik IV, Einsiedeln, 1983, S. 259)

Es zeigt sich, dass ein einzelner das gesamte Heilswerk Gottes dadurch, dass er sich ihm verweigert, zunichte machen kann:

Die Liebe Gottes erzwingt nichts.

Ob sich ein Sünder, selbst auf die Gewissheit ewiger Verdammnis hin, auf diese Weise Gott verweigert, verweigern kann, lässt von Balthasar offen, nur „soviel darf gesagt werden: Gott achtet auch als Erlöser die Freiheit, die Gott der Schöpfer seinem Geschöpf zugeeignet hat und mit der es seiner Liebe zu entgehen vermag. Dieses ‚Achten‘ besagt, dass Gott nicht durch die Allmacht seiner absoluten Freiheit die prekäre Freiheit seines Geschöpfes überwältigt, erdrückt, vergewaltigt.“ (Pneuma und Institution, Einsiedeln, 1974, S. 443.

Die reale Möglichkeit der Hölle betont von Balthasar; wir haben es hier nicht mit einer billigen Allversöhnungslehre zu tun.
(… wird fortgesetzt.)

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Der Eine Gott (3)

Ich habe Euch in den letzten zwei Beiträgen einen ganz schön dicken Brocken aufgetischt, obwohl ich ohnehin auch das meiste stark vereinfacht dargestellt habe. Wenn ich jetzt auf die Person Jesus zu sprechen komme, wird alles noch einmal komplexer. Oh je, ich werde meine Erläuterungen versuchen, so einfach, wie möglich zu halten, dabei aber dennoch so ausführlich, wie nötig zu bleiben. Die Menschwerdung Gottes ist eines der schwierigsten Themen der Theologie überhaupt, und sowohl unsere Vorstellung von der Drei-Einheit Gottes, wie die Menschwerdung kann auch so mancher Christ nicht verstehen oder annehmen. Dennoch wage ich einmal den Versuch einer Erklärung.

Kategorien und Substanz

Der Philosoph Aristoteles hat eine Systematik zur Einordnung alles Seienden entwickelt,: so kann man die Dinge beschreiben zum Beispiel bezüglich ihrer Beschaffenheit, Ausdehnung, Ort, Zeit, Verhältnis zu anderem. Diese sogenannten „Kategorien“ können zum Beispiel einen Baum hinreichend beschreiben. Aber selbst wenn der Baum in jeglicher Hinsicht beschrieben ist, eines ist damit noch nicht gesagt: worum es sich eigentlich handelt (nämlich einen Baum).

Die Kategorien beschreiben also sogenannte „Akzidentien“, die Eigenschaften, das „Wie“ eines Seienden, nicht aber die Frage danach, was das „Wesen“ des Seienden ist, seine „ousía“ (griech.), „substantia“ (lat.). (Wenn also ab jetzt von „Substanz“ die Rede ist, ist nicht der alltagssprachliche Begriff gemeint, sondern die Wesensbestimmung eines Seienden.)

Jesus, der Mensch

Mittels der Unterscheidung Akzidentien – Substanz lässt sich die Menschwerdung Gottes in Jesus verdeutlichen.

Gott ist Mensch geworden, „in allem uns gleich, außer der Sünde“. Jesus war mit all seinen Eigenschaften Mensch: er hatte Körper und Seele, ging unter den Menschen, musste essen, trinken. Auch war er nicht allwissend; an mehreren Stellen ist dies in der Bibel bezeugt.

Wenn wir also die Kategorien in den Blick nehmen, dann ist Jesus ganz Mensch. Und wenn wir die Substanz, das „Wesen“ Jesu beschreiben, dann auch als Mensch: er ist „wahrer Mensch“.

Gott ist Mensch geworden

Nun zeichnet uns Christen ein Bekenntnis aus, das allen anderen Religionen fremd ist: wir bezeugen, Gott ist Mensch geworden. In der Person Jesu Christi. Die uneinholbar scheinende Grenze zwischen Gott und seiner Schöpfung ist nicht so fest, dass Gott nicht auch diese überwinden könnte. Somit ist Gott uns nicht nur der ganz andere, er begegnet uns als Mensch. Und umfängt unsere Freude in seiner Freude, unser Leid in seinem Leid.

Für die Menschwerdung Gottes brauchen wir ebenso ein Bild, und es ist wieder das Bild des „Sohnes, das uns in der trinitarischen Beschreibung begegnet. Das Bild darf gleichsam auch hier nicht „wörtlich“ missverstanden werden, als handele es sich um eine göttliche Vater-Sohn-Beziehung.

Wahrer Mensch und wahrer Gott

Wie aber kommt aber die Göttlichkeit Jesu überein mit dem Bekenntnis zu Jesus als „wahrem Menschen“?

Betrachten wir wieder die Unterscheidung Akzidentien – Substanz.

Wie wir gesehen haben, ist Gott, was die endlichen Kategorien angeht, eigenschaftslos. Denn: alle Eigenschaften, die wir mit unserer Sprache und Erkenntnis beschreiben könnten, sind allein auf endliche Wesen bezogen. Gott ist nicht in Kategorien fassbar und beschreibbar. Welche körperliche Beschaffenheit kann man festlegen? An welchem Ort befindet er sich? Er steht weder innerhalb der Kategorien seiner Schöpfung, noch außerhalb. Gott transzendiert diese; man kann nicht „eigentlich“ von Gott sprechen, sondern immer nur in Bildern. (Thomas von Aquin und andere Philosophen und Theologen des Mittelalters haben sogenannte „Transzendentalien“ beschrieben, Begriffe, mit denen sie glauben, das Wesen Gottes beschreiben zu können, wie „das Gute“, „das Wahre“, „das Eine“.)

Für uns ist, wie wir bekennen, in Jesus also Gott Fleisch geworden. Nun kommen ihm jedoch keinerlei Akzidentien zu, die wir gewöhnlich Gott zuschreiben: Allmacht, Allwissenheit und ähnliche: die Vorstellung von der Allmacht Gottes ist nur ein Bild, das wir uns von Gott machen, der Endlichkeit unseres Vorstellungsvermögens entlehnt. Diese Eigenschaften sind Krücken unseres Fassungsvermögens, um bei der Rede von Gott nicht zum Schweigen verdammt zu sein.

Somit kann der substanzielle Unterschied zwischen Gott und Mensch überwunden werden: da der Mensch das Wahre erkennen, das Gute tun, das Eine realisieren, das Schöne erstreben kann, kann ein Mensch mit menschlichen Eigenschaften in Bezug auf seine „substantia“ zugleich wahrer Mensch und wahrer Gott sein.

Und genau dies ist unser Bekenntnis, wenn wir Jesus ungeschickt und missverständlich als „Sohn Gottes“ bezeichnen. Das Entscheidende hierbei ist, dass Gott und Mensch Jesus nicht über mehr Eigenschaften verfügt, als die menschlich-natürlichen. Wäre Gott mit anderen Eigenschaften „Fleisch“ geworden (z. B. Allwissenheit, Allmacht), dann hätte er wiederum außerhalb seiner Schöpfung gestanden.

Gott begegnet uns Menschen

Gott ist unseren Weg gegangen. Er begegnet uns Menschen in unserer Freude. In unseren Erfolgen. Aber auch in unserem Leid. Selbst in der wohl schlimmstmöglichen menschlichen Erfahrung: der völligen Isolation und Beziehungslosigkeit, der Verworfenheit in der „Hölle“. Selbst hier begegnet uns Gott in Jesus. Der Tiefpunkt der Passion Jesu ist für uns nicht die Kreuzigung am Karfreitag, sondern der Karsamstag. Dieser ist im Andenken der Kirche der Tag der Höllenfahrt Jesu. „Hölle“ bedeutet die vollkommene Beziehungslosigkeit des nur auf sich bezogenen Menschen. Und selbst in diesem Schweigen alles lebendigen, selbst hier begegnet Gott den verschlossenen Menschen.

In unserem Verständnis ist Gott nicht „der ganz andere“, sondern Gott ist „unser“ Gott, dem nichts fremd ist.

Eucharistie

Und zuletzt noch ein Wort zu dem Mahl, was wir griechisch „Eucharistie“, deutsch „Danksagung“ nennen. Ebenso, wie Gott Mensch wurde, so wird er in der Messfeier Brot und Wein. Ebenso, wie Christus ganz und gar Mensch war, mit allen menschlichen Eigenschaften, so behalten dieses Brot und dieser Wein die Eigenschaften von Brot und Wein beim Wunder der „Wandlung“. Ebenso, wie Jesus substanziell „wahrer Mensch“ blieb, so bleiben Brot und Wein ganz Brot und Wein. Ebenso wie Jesus aber substanziell „wahrer Gott“ war, so werden Brot und Wein (im Bild) zu seinem Fleisch und Blut, gemeint ist: auch sie werden gemäß ihrer „substantia“ Gott. Hier wird Gott für uns greifbar, und wir Christen sind eingeladen, an ihm teilzuhaben.

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Der Eine Gott (2)

Den letzten Beitrag zusammenfassend also sei gesagt: Gott ist – auch für uns Christen – der Eine, ungeteilte Gott. Der Gott der Liebe, der in sich geborgen das „Ich“, das „Du“ und auch die Hinwendung zum „Anderen“ trägt.

Und so bezeichnen wir die „innere“ Trinität des Einen Gottes und damit skizzieren wir ein Bild von Gott, von dem wir ausgehen, dass es in irgendeiner Weise mit dem an sich unbegreiflichen Wesen Gottes korreliert. Es beschreibt Gott unabhängig von Zeit und Raum, es beschreibt unsere Vorstellung vom Wesen Gottes, wie Er war vor aller Schöpfung, und wie Er sein wird nach der Vollendung der Schöpfung.

Gottes Wirken

Dann ist Gott aber auch der geschichtlich Handelnde. Dieses nach außen strebende Moment Gottes manifestiert sich in einem historischen Geschehen: Gott erschafft (das hebräische Verb „bara“, „schuf“, wird nur auf Gott bezogen verwandt) den Himmel und die Erde. Dieses „erschafft“ bezieht sich nicht auf einen ersten Moment der Geschichte des Universums, sondern ist ein Prozess, der sich vollzieht, solange die Schöpfung existiert. Das Entstehen und Vergehen richtet sich nach natürlichen Gesetzlichkeiten, in denen aber stets machtvoll das Handeln des Schöpfergottes manifestiert.

Dann ist es die dritte der „Personen“ Gottes, der „Heilige Geist“, der uns Menschen erfüllt. Wie Gott in der ganzen Schöpfung wirkt und waltet, so teilt er sich auch den Menschen mit und erfüllt sie: mit dem Geist der Weisheit, dem Geist des Verstandes, dem Geist des Rates, dem Geist der Stärke, dem Geist der Erkenntnis, dem Geist der Frömmigkeit und dem Geist der Gottesfurcht. Jeder Mensch – gleich, welcher Religion oder Weltanschauungen – jeder Mensch steht in einer Liebesbeziehung zu Gott und ist angesprochen vom sich-mitteilenden Gott.

Bis hierher vermag mir möglicherweise der eine oder andere Muslim zu folgen. Gott hat sich aber darüber hinaus für uns Christen in einem historischen Ereignis selbst offenbart, und hier liegt wohl meines Verständnisses der wirklich einzige nur schwer überbrückbare Graben zwischen Christentum und Islam:

Gott ist unserer Vorstellung nach Mensch geworden. In der Person Jesu Christi. Auch bei uns ist Jesus Christus nicht wortgetreu (ohne Anführungszeichen) der Sohn Gottes (im Sinne einer Vaterschaft“). Es wäre schlichtweg unvernünftig, zu glauben, Gottes Geist wäre an die Stelle des männlichen Samens getreten und hätte ein Kind gezeugt, wie es in den griechischen Göttergeschichten vorkommt. Das Bekenntnis – sowohl von der Jungfräulichkeit Mariae als auch von der „Sohnschaft“ Jesu – ist viel größer, als dass es durch ein biologisch zu verstehendes Wunder erklärt wäre.

Um Vorurteilen direkt entgegenzuwirken: wir bekennen nicht: „Jesus war Gott. (Punkt)“ Unser Bekenntnis lautet: „Und das Wort (Gott) ist Fleisch geworden.“ (Joh. …)

Gott wäre nicht unbegrenzt, wenn er die Grenze zur Geschöpflichkeit nicht auch überschritten hätte. Unser Bekenntnis: „Gott ist Mensch geworden, in allem uns gleich, außer der Sünde.“

Dazu im nächsten Beitrag mehr.

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Der Eine Gott (2:38)

„Ich glaube an den Einen Gott.“ Das ist das grundlegende Glaubensbekenntnis des Christentums.
„… Er ist der Eine Gott, Allah, der Absolute.“ (112:1-2) bekennt jede Muslima und jeder Muslim. Dieser Gott ist Einer. Punkt. Kein „Aber“.

Dieser Gott ist ganz Eins. In sich ruhend. Unbegrenzt. Unveränderlich.

Menschen sind zerrissen, finden sich in immer neuen Rollen wieder, als liebende Familienväter, strenge Vorgesetzte, zärtliche Liebhaber, von Gier oder Verschwendungssucht getriebene Konsumenten, freundliche Nachbarn, aggressive (oder rücksichtsvolle) Autofahrer.

Gott ist der Eine unveränderliche Gott (denn wer veränderlich ist, kann nicht absolut, sondern muss an Umstände gebunden sein).

Aber der Koran sagt auch: Gott ist der Erbarmer, der Barmherzige, der Richtende, der Herrschende. Neunundneunzig Namen Gottes kennt der Koran.

Ich finde hier zwei Aspekte Gottes, die auch im Koran bezeugt sind: Gott, der In-Sich-Ruhende, der Absolute auf der einen Seite. Dann auch Gott, der in Bezug zur Schöpfung steht, der nach außen wirkt. Er hat alles geschaffen, er führt jeden Menschen auf seinem Weg und ist zuletzt der Richter aller Menschen.

Für endliche Wesen wäre dies ein Widerspruch in sich: ruhend und zugleich handelnd. In Gott, so stellte der Theologe und Philosoph Nikolaus von Kues (Cusanus) fest, fallen die Gegensätze zusammen. Ein Mensch kann nicht immer zugleich barmherzig UND gerecht sein. Gott kann dies. Ein Mensch kann nicht zugleich völlig in sich gekehrt UND der Welt zugewandt sein. Gott kann dies.

Und nichts anderes, als diese Erkenntnis, ist das , was in unserem Gottesbild „Gott-Vater“ und „Gott-Sohn“ genannt wird. Der eine Gott als zugleich in-sich-ruhender Gott und dann aber auch als Schöpfer, als gestaltender Gott.

Missverständlich ist dabei einzig die Begrifflichkeit. Diese beiden „Seiten“ Gottes nennen wir „Vater“ und „Sohn“, und lösen damit – nach innen ebenso, wie nach außen – Verwirrung aus. Die Begriffe sind schlicht in Analogie zu Familienstrukturen gewählt, bezeichnen aber in keiner Weise eine Art „Vaterschaft“ oder „Sohnschaft“. Gott hat also weder einen Vater, noch einen Sohn. Gott ist der Eine. Der Eine Gott, der das in sich gekehrte, absolute und auf der anderen Seite das schöpferische Moment in sich selbst einschließt.

Und damit beide Aspekte nicht- wie bei einem in sich zerrissenen Menschen – nebeneinander stehen, braucht es noch ein drittes, „Vater“ und “Sohn“ verbindendes Element. Und dieses dritte Moment erhält den Namen – und auch dies ein bloßer Name -„Heiliger Geist“.

Alles, was Theologen aussagen, ist ohnehin nur ein Bild für die unaussprechliche Wirklichkeit Gottes. Das wahre Wesen Gottes kann keine im Endlichen verhaftete Sprache erfassen, der hundertste Name Gottes bleibt uns verborgen, Meere voller Tinte würden nicht reichen, den wahren himmlischen Koran zu schreiben. Also: sprechen wir Christen weiter in BILDERN über Gott.

Das Bild, das sich Augustinus machte, geht von der Selbsterkenntnis Gottes aus: Gott ist der Wissende, hat alle Erkenntnis, also muss er auch sich selbst erkennen. Da Gott aber Vollkommen ist, muss diese, seine Selbsterkenntnis, ebenfalls vollkommen (und damit existent) sein – und gleichzeitig in ihm selbst eingebunden. Der EINE Gott ist somit zugleich der Erkennende und der Erkannte. Gott „Vater“ und Gott „Sohn“. Wie aber auch menschliche Liebe nie sich selbst genügt, sondern sich immer, neben dem „Ich“ und dem „Du“, auch nach außen mitteilen will, so muss Gott, der die Liebe IST auch noch ein drittes Element in sich bergen. Und dieses ist der „Heilige Geist“. Anders: wenn Gott nicht nur Liebe HAT, sondern die Liebe IST, dann muss in ihm das „Ich“, das „Du“ und das „Andere“ eingeschlossen sein. So ist Gott natürlich EINER. Gott „Ich“, der Vater, Gott „Du“, der „Sohn“ und „Gott der sich mitteilt“, der „Heilige Geist“.

Ganz klar: im Koran ist stets und ausdrücklich nur von dem Einen Gott die Rede. Aber wie ist zu verstehen wenn (zum Beispiel) in Vers 2:38 steht: „Wir sprachen: ‚Fort mit Euch, allesamt! Und wenn zu Euch Rechtleitung von Mir kommt, wer dann meiner Rechtleitung folgt, über die soll keine Furcht kommen, und sie sollen nicht traurig sein. …‘ – “ Wer ist es, der sich zunächst mit „Wir“, dann mit „Mir“ benennt?

Natürlich kein trinitarischer (dreifaltiger) Gott. Natürlich kann der Plural als Majestätsplural aufgefasst werden, oder aber Gott und die Engel einbeziehen. Aber vielleicht scheint dort doch die Grundidee eines „Wir“-Gottes ein wenig durch, des Einen Gottes mit hundert Namen?

Vielleicht sind Muslimen unsere Bilder von Gott zu durchdacht, zu hypothetisch, zu unklar. Die Theologischen Erwägungen sind, wenn man sie noch genauer betrachtet, noch viel „durchdachter“, noch komplexer und schwieriger zu verstehen und das Ergebnis sehr ausgefeilter akademischer Diskussionen. Ja: die Unterschiedlichkeit der Bilder mussten sogar als theologischer Vorwand für eine Kirchentrennung herhalten (wer’s genauer wissen will, kann mal nach „Filioque“ googeln).

Das deutsche Wort „zeugen“ meint in der Theologie eben den Ausgang von „Sohn“ und „Heiligem Geist“ aus dem „Vater“. Wenn in Sure 112 das Wort „zeugen“ jedoch im Sinne einer wortwörtlichen Vaterschaft gedeutet wird, kann ich als Christ mit allen Muslimen mitbekennen:

„Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen! Sprich: „ ‚Er ist der Eine Gott, Allah, der Absolute. Er zeugt nicht und ist nicht gezeugt, und es gibt keinen, der Ihm gleicht.‘ -“ (Sure 112)

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Endlich!

Eigentlich kommentiere ich in diesem Blog keine aktuellen Ereignisse, der Anlass ist aber so wichtig, dass hier eine Ausnahme gemacht sei.

Endlich werden die Äußerungen des Demagogen Thilo Sarrazin von offizieller Seite als rassistisch identifiziert. (Die Welt) Nicht zuletzt trägt eine solche Hetze, die von Leuten wie ihm ausgeht, Mitschuld an einem Lebensgefühl, das eine Muslima in einem kurzen Handy-Post auf Facebook so treffend ausdrückt:

„Sitze im Wartezimmer, im TV wird von einem islamisch motivierten Anschlag in Boston gesprochen und 8 Augenpaare wandern zu mir. ‚Guckt nicht mich an. Wenns so sein sollte, haben die keinen Peil von gar nix.‘ Gelächter. Puh. Glück gehabt.“

Werden Christen ebenso misstrauisch beäugt, weil sich der Nazi und Massenmörder Anders Breivik zu einer Art fundamentalistischem Christentum bekennt?

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Rechtleitung (2:37-38)

„Und Adam empfing von seinem Herrn Worte und Er nahm seine Reue an; denn siehe, Er ist der Vergebende, der Barmherzige. | Wir sprachen: „Fort mit euch von hier allesamt! Und wenn zu euch Rechtleitung von Mir kommt, wer dann Meiner Rechtleitung folgt, über die soll keine Furcht kommen, und sie sollen nicht traurig sein.“

Gott vergibt Adam seine Schuld, denn er ist der Vergebende, der Barmherzige. Damit vergibt er – da Adam für alle Menschen steht – allen Menschen ihre Schuld. Und wie der Neuanfang aussieht, das zeigt Vers 2:37. Es ist der Zweischritt vom Unheilszustand des Menschen („Fort mit euch von hier allesamt!“) zur Vergebung („Und wenn zu euch Rechtleitung von Mir kommt, wer dann Meiner Rechtleitung folgt, über die soll keine Furcht kommen, und sie sollen nicht traurig sein.“, 2:37).

Das Interessante daran: diese Vergebung wird nicht etwa „nur“ Abraham als Stammvater der Ismaeliten und Israeliten, oder Jakob, als Stammvater Israels zuteil, sondern Adam. Gott hat ALLEN Menschen Rechtleitung gegeben.

Und dies – ich wiederhole mich hier, aber der Gedanke ist in nahezu jedem Zusammenhang wichtig – indem er allen Menschen sein Gesetz ins Herz gepflanzt hat, das ihm sagt, dass das Gute zu tun, das Böse zu unterlassen ist. Ein Gesetz, das jedem Menschen, unabhängig von seiner Reiligion und Kultur, vertraut ist, und dessen sich selbst der schlimmste Übeltäter bewusst ist. Und neben dem Gesetz hat Gott uns auch einen Richter ins Herz gepflanzt, unser Gewissen, das uns ab und an „beißt“.

Legislative und Jurisdiktion liegen also in der Natur des Menschen schon begründet. Allein: die Exekutive, die die Sünde faktisch verhindern könnte, gibt es nicht: dafür hat Gott uns die Freiheit geschenkt, zwischen Gut und Böse zu wählen. Kein Mensch wird von einem inneren Polizeibeamten gegen seinen Willen zum Guten gezwungen oder von einem inneren Justizvollzugsbeamten für seine Sünden inhaftiert.

„Und Adam empfing von seinem Herrn Worte“ (2:37), historisch deutlich bevor der Koran verkündet wurde. Damit ist Adam ein Prophet. Und damit ist jeder Mensch ein Prophet. Die Gewissensentscheidung hat eine so große Würde, dass selbst unser Staat darauf aufgebaut ist: jeder Abgeordnete unseres Parlaments ist in seinem Abstimmungsverhalten nur einer Instanz gegenüber verpflichtet: seinem Gewissen. (Es gibt zum Beispiel keine bindende Parteidisziplin, der er unterworfen wäre.)

Mit dem Gesetz Gottes im Herzen und einem Gewissen ausgestattet, hat aber in gewisser Weise jeder Mensch Anteil an der prophetischen Gabe Adams: für Gottes Weisung einzustehen und diese im Leben zu realisieren – ganz gleich, welcher Religion, Kultur oder Lebenswelt er angehört.

Darin liegt die Rechtleitung Gottes für alle Menschen, aber auch die Aufgabe und Verantwortung eines jeden Menschen.

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Die Sünde Adams – die Vergebung Gottes (2:37-38)

„Und Adam empfing von seinem Herrn Worte und Er nahm seine Reue an; denn siehe, Er ist der Vergebende, der Barmherzige. | Wir sprachen: „Fort mit euch von hier allesamt! Und wenn zu euch Rechtleitung von Mir kommt, wer dann Meiner Rechtleitung folgt, über die soll keine Furcht kommen, und sie sollen nicht traurig sein.“

In der christlichen Tradition gibt es die Vorstellung von der „Erbsünde“ in der wir Menschen stehen: durch die Sünde Adams (und Evas) sind wir Menschen des Paradieses verwiesen und leben in einem Bruch mit Gott, durch den uns das Heil zunächst versagt bleibt, der durch Christus aber überwunden wurde.

Kein ernstzunehmender christlicher Theologe geht mehr davon aus, dass die eine erste historische Sünde einer historischen Person Adam diesen Unheilszustand bewirkt hat. „Deshalb, wie durch „einen“ Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und der Tod durch die Sünde, so ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, weil sie alle gesündigt haben. (…) Denn wenn wegen der Sünde des Einen der Tod geherrscht hat durch den Einen, um wie viel mehr werden die, welche die Fülle der Gnade und der Gabe der Gerechtigkeit empfangen, herrschen im Leben durch den Einen, Jesus Christus.“, schreibt der Apostel Paulus (Röm 5, 12;17). Da jedoch Adam für den Menschen schlechthin steht, wird der ‚eine einzige‘ Mensch, durch den wir dem Tod anheimgefallen sind, durch das schlichte Wort „ich“ benannt.

Dadurch, dass wir Menschen sind, stehen wir schon in einer „Erbschuld“: dadurch, dass wir (wie im letzten Posting aufgezeigt) im Interessensausgleich mit anderen stehen, dadurch, dass wir immer wieder hin- und hergerissen sind zwischen den Neigungen unseres Gewissens, den Bedürfnissen unserer Existenz und dem Ursprung aller Sünde, nämlich Neid und Habgier.

Der Koran, wie ich ihn lese, kennt — ebenso wie das Judentum — keine „Erbsünde“, keinen Bruch zwischen Gott und Mensch, der aus einer konkreten historischen Verfehlung resultiert.

Eines bleibt: im Koran, wie ich als Christ ihn lese, erscheint Adam als der sündige Mensch, dem Gott, der Vergebende, der Barmherzige, seine Schuld verzeiht, sofern Adam der Rechtleitung durch Gott folgt. So er das tut, braucht über ihn keine Furcht kommen, er muss nicht traurig sein. Dies ist genau auch meine christliche Grundhaltung: da ich Gottes Willen nachforsche und ihn zu befolgen suche (bei uns Christen heißt das „Nachfolge Jesu“), also mich der Weisung und Leitung Gottes immer wieder neu anvertraue, kommt über mich keine Furcht, bin ich nicht traurig.

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Der eine sei des anderen Feind? (2:36-38)

„Aber Satan ließ sie straucheln und vertrieb sie, von wo sie weilten. Und Wir sprachen: „Fort mit euch! Der eine sei des anderen Feind. Doch auf Erden sollt ihr eine Wohnung und Nießbrauch auf Zeit haben.“ Und Adam empfing von seinem Herrn Worte und Er nahm seine Reue an; denn siehe, Er ist der Vergebende, der Barmherzige. | Wir sprachen: „Fort mit euch von hier allesamt! Und wenn zu euch Rechtleitung von Mir kommt, wer dann Meiner Rechtleitung folgt, über die soll keine Furcht kommen, und sie sollen nicht traurig sein.“

In der christlichen Tradition steht Adam für den Menschen schlechthin. Die hier bezeugte Stelle gibt einen Hinweis darauf, dass diese Auffassung auch koranisch sein mag: wunderbar, wie der Übergang von zwei Abschnitten hier expliziert wird: der Wortlaut der Ausweisung aus dem Paradies (Fort mit euch!“) ist zugleich Einleitung des „rechtleitenden“ Teils: „Fort mit euch von hier allesamt!“ Und dieser Spruch Gottes in 2:38 scheint zugleich beides zu sein: die in Vers 37 angedeutete Rechtleitung, die an Adam ging und die Rechtleitung, die an die „Kinder Israels“ (2:40) gerichtet ist. Adam steht nicht nur für sich selbst, sondern auch – das ist meine Frage an die mitlesenden Muslime – für die „Kinder Israels“ und vielleicht auch für den Menschen schlechthin? – Wie sonst erklärt sich, dass die Ausweisungsformel in 2:38 mit „allesamt“ beendet wird? – Dies würde wohl nicht so formuliert sein, wenn es nur um Adam und seine Frau ginge?!

Adam steht für den Menschen schlechthin. So kann jedenfalls das erschreckende folgende Wort verstanden werden: „Der eine sei des anderen Feind.“ Nur, wer den Koran als „Unruhestifter“ für eigene Pläne missbraucht, kann darin eine Anweisung Gottes sehen, der Mensch solle „einander Feind“ sein. Nur, wer die Botschaft von Gott als „Erbarmer“ nicht verstanden hat und den Gruß „Salam“ nicht kennt, kann diesen Satz als Fluch Gottes gegen die Menschen missverstehen.

Wenn Adam der Mensch schlechthin ist, dann beschreibt die Aussage des Satzes schlichtweg eine Grundverfasstheit des Menschen. Es folgt ja der Hinweis: Nicht alle Güter stehen in vollkommener Fülle zur Verfügung stehen, wie im Garten, „Nießbrauch auf Zeit“ (2:36).

So gehört es zum Menschsein dazu, für Mangel Ausgleich schaffen zu müssen. Ansprüche zwischen Menschen werden ausgehandelt. Und so stehen Interessen gegen Interessen, ein Mensch ist des anderen Feind.

Frieden bedeutet nicht, mit anderen Menschen nicht in Konkurrenz zu stehen, „Feind“ zu sein. Frieden bedeutet, in schwierigen Situationen der Rechtleitung Gottes zu folgen. Die Menschen, die dies tun, „über die soll keine Furcht kommen und sie sollen nicht traurig sein.“ Und genau dies ist der Zustand des Friedens: keine Furcht, keine Trauer. Und dies ist eine deutliche Absage an den Krieg, denn: der Krieg ist das Paradigma für Menschen in Furcht und Trauer schlechthin!

Und dieser friedliche Interessensausgleich – wie der gelingt, das wird in den folgenden Versen beschrieben. Und in meinem übernächsten Post.

Jörg

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Adam und die Sorge Gottes für den Menschen (2:30-48)

Die Erschaffung des Menschen ist sowohl in der Bibel als auch im Koran überliefert. Und doch fällt die Unterschiedlichkeit beider Erzählungen auf. Ja, fast scheint es so, dass die Kenntnis des biblischen Berichts – zumindest in den Grundzügen – im Koran bereits als bekannt vorausgesetzt und weitergeführt wird.

Für den Bibelleser ist die Erzählung im Koran eine ungewohnte Art, Geschichte zu schildern und zu interpretieren. Um dies – vor allem im Zusammenhang mit den folgenden Versen – ein Stück weit verstehen zu können, nehmen wir zunächst einmal den Kontext in den Blick.

Mit der Adamsperikope (2:30-48) beginnt ein Abriss der biblischen Geschichte. Im Folgenden werden weitere Persönlichkeiten aus Tora und Bibel vorgestellt: Moses (2:49-123), Abraham und Ismael (2:124-245), David (2:246-257), Abraham und Nimrod (2:258-286). Jede der Erzählungen ist (grob gegliedert und verkürzt dargestellt) zweiteilig gegliedert: auf die Erinnerung an eine biblische Erzählung folgt eine Weisung. So werden wichtige kultische Regelungen ebenso wie moralische Gebote vor dem Hintergrund der Offenbarungsgeschichte vermittelt.

Die Tatsache, dass die Personen nicht chronologisch auftreten (wie der Einstieg mit Adam vielleicht zunächst nahelegen würde), zeigt also, dass es sich im Koran nicht um ein Geschichtsbuch, sondern um eine Art Lehrbuch über das gelungene gottnahe Leben handelt, um eine Rechtleitung, wie Sure 2 wiederholt betont („Dies Buch, daran ist kein Zweifel, ist eine Rechtleitung für die Gottesfürchtigen“. 2:2).

Der biblische Schöpfungsbericht hingegen ist nur implizite eine „Lehrschrift“ – obgleich auch er vieles lehrt. Er ist eine Erzählung. Und eigentlich umfasst er nicht eine, sondern zwei Erzählungen: den (jüngeren) Bericht der Schöpfung von Himmel und Erde in sieben Tagen (Gen. 1,1 – 2,4a) und die (ältere) Adamsperikope. Diese wird in zwei Teilen erzählt: der Erschaffung des Menschen (Gen 2,4b-25) und der Verführung und dem Sündenfall mit der Vertreibung aus dem Paradies (3,1-24).

Die Deutungen der Erzählung sind unter den Theologen sehr unterschiedlich und zeugen von einer tiefen Vielschichtigkeit des Textes. Allen Interpretationen sind aber einige Grundannahmen gemein:
1. Der Mensch verdankt Gott seine Existenz.
2. Adam steht für den Menschen schlechthin. Diese Einschätzung teile ich – vgl. „Der Name aller Dinge“ – mit vielen islamischen Interpretationen des Koran.
3. Zentrales Thema ist der Hiatus zwischen der Mühseligkeit, der Erde die Schätze, die unser Überleben sichern, abzugewinnen auf der einen Seite (symbolisiert durch den Acker, aus dem wir geschaffen sind) und der Ahnung dessen, dass es eine Wirklichkeit gibt, die unsere Lebenswirklichkeit übertrifft (symbolisiert durch den wassergeschwängerten Garten, den Gott für uns vorsah und vorsieht, der uns hier aber verschlossen bleibt.

Diesem Bild vom bewässerten Garten begegnen wir zahlreich im Koran – nicht, wie biblisch, als Schilderung des Urzustandes, sondern als Verheißung der Vollendung im Jenseits für jeden von uns: „Verheiße aber denen, die glauben und das Rechte tun, dass Gärten für sie bestimmt sind, durcheilt von Bächen.“ (Sure 2:25)

Was bleibt?

Des Menschen Ursprung ist die Obhut des für ihn sorgenden Gottes – symbolisiert durch den Garten Eden im biblischen Schöpfungsbericht. Diese Obhut Gottes für uns ist zugleich auch das Ziel unserer Existenz – Gärten sind bereitet, durcheilt von Bächen.

Und die Gegenwart? – Sowohl die Bibel als auch der Koran bezeugen, dass auch hier Gott für uns sorgt.
„Sprich: ‚Was haltet ihr wohl von der Versorgung, die Allah euch hinabsandte und von der ihr das eine verboten und das andere erlaubt habt?‘ […] Wisset, dass über Allahs Freunde keine Furcht kommt und dass sie nicht traurig sein werden. Diejenigen, welche glauben und gottesfürchtig sind. Ihnen gilt die frohe Botschaft im irdischen Leben und im Jenseits. Allahs Verheißungen sind unabänderlich. Das ist die große Glückseligkeit.“ (Sure 10:59a, 62-64)

Die Sorge Gottes für unser Wohlergehen – ar-Rizq („Versorgung“) – ist im Koran als Grundmerkmal für die Begleitung des Menschen durch Gott bezeugt – und gilt eben auch für das irdische Leben. Grundtugend des Menschen ist ein Leben im angstfreien Vertrauen auf Gott.

Jesus predigte ganz ähnlich: „Deswegen sage ich euch: sorgt euch nicht um euer Leben und darum, dass ihr etwas zu essen habt, noch um euren Leib und darum, dass ihr etwas anzuziehen habt. Ist nicht das Leben wichtiger, als die Nahrung und der Leib wichtiger, als die Kleidung? Seht Euch die Vögel des Himmels an: sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr wert, als sie? Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern? Und was sorgt ihr euch um eure Kleidung? Lernt von den Lilien, die auf dem Feld wachsen: sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet, wie eine von ihnen. Wenn aber Gott das Gras schon so prächtig kleidet, das heute auf dem Feld steht und morgen ins Feuer geworfen wird, wieviel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen? Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? Denn um all das geht es den Heiden. Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht. Euch aber muss es zuerst um sein Reich und seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben.“ (Mt 6, 25-33)

Unsere Herkunft aus Gott und unser Ziel auf Gott hin verwirklicht sich bereits zeichenhaft im Hier und Jetzt. Wir Christen fomulieren es so, dass das Reich Gottes nicht nur Verheißung für die Zukunft ist, sondern bereits jetzt angebrochen ist. Seine Sorge galt uns seit Anbeginn, ebenso wie im Jetzt und in der Verheißung des zukünftigen Lebens.

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Der Name aller Dinge (2)

„Und er lehrte Adam aller Dinge Namen… .“

Aristoteles

Bis zum 14. Jahrhundert gingen die christliche Theologen davon aus, dass sich dem denkenden und erkennenden Menschen das Wesen der geschaffenen Dinge durch die Sprache erschließt. Sie übernahmen die durch Aristoteles überlieferte antike Lehre von den Kategorien. Aristoteles kannte 12 Kategorien, mittels derer sich alles Seiende beschreiben lässt. So kann man einer Sache einen bestimmten Ort zuschreiben, an dem sie sich befindet. Man kann die Zeit beschreiben, zu der er dort war, sie hat eine räumliche Ausdehnung, eine Beziehung zu anderem Seienden und so weiter. Mittels der 12 Kategorien kann man also alles Seiende beschreiben, kann bestimmen, WIE etwas ist. Aber eines kann man nicht mittels der Kategorien sagen: nämlich WAS das Seiende ist. Selbst wenn man einen Baum detailliert und genau beschrieben hat – wo er zu welcher Zeit wo stand, in welchen symbiotischen Zusammenhängen er stand: die Tatsache, dass es sich um einen Baum handelt, erschließt sich aus der Bestimmung noch nicht. Das Wesen einer Sache zu bestimmen geht also über die phänologische Beschreibung hinaus. Dieses Wesen eines jeden Seienden nennt Aristoteles ‚ousía‘, lateinisch ’substantia‘.

Wenn wir nun einen Baum als solchen benennen, sagen wir zwar einiges über seine Eigenschaften (Kategorien) aus, also WIE er ist. Dies tun wir aber nur implizite. Ausdrücklich machen wir eine Aussage über sein Wesen, also darüber WAS er ist, seine ‚ousía‘.

Ockham und der Nominalismus

Im 14. Jahrhundert hinterfragte ein Theologe und Philosoph, William Ockham, die Vorstellung, ob unsere Allgemeinbegriffe (wie „Baum“) tatsächlich eine andere Wirklichkeit beschreiben, eine „ousia“, man könnte vielleicht sagen: einen „Schöpfungsgedanken Gottes“, der jedem einzelnen Baum zugrundeliegt. Verkürzt dargestellt könnte man Ockham so zusammenfassen: unsere sprachlichen Begriffe sagen nichts über das Wesen einer Sache aus, seine ‚ousía‘. Sie sind lediglich ‚Namen‘, ’nomina‘, mehr oder weniger willkürlich gesetzt, indem alles Seiende, was bestimmte Eigenschaften hat (Stamm, Blätter, …) als „Baum“ bezeichnet wird.

Mit diesem, als „Nominalismus“ bekanntgewordenem Denken, setzt sich Umberto Eco in seinem Roman „Der Name der Rose“ auseinander. Die „Rose“ ist hier eine junge Frau, von der die Protagonisten was wissen? – Eigentlich – von ganz wenigen biografischen Daten abgesehen – nichts. (Nicht einmal den Namen.)

Gott lehrt den Menschen „aller Dinge Namen“

Was hat das mit Sure 2 zu tun? Gott lehrte also den Menschen „aller Dinge Namen“ (2:…). Was hat es mit diesem Geschenk auf sich? Was bedeutet die Kenntnis des Namens der Dinge für den Menschen?
Welches Geschenk gibt Gott damit dem Menschen? – Lehrt er ihn, Einsicht in das Wesen seiner Schöpfung und alles Geschaffenen zu nehmen? Oder hebt sich der Mensch nur dadurch von Tieren und Engeln ab, dass er die Dinge ‚irgendwie‘ und willkürlich bezeichnen kann?

Der Koran spricht da eine deutliche Sprache. Sie nehmen zwar die Schöpfung wahr, aber sie erkennen den Sinn der Schöpfung nicht. Ihr ganzes Sein ist Lob und Ruhm Gottes. Und so verstehen sie die Sachwalterschaft des Menschen überhaupt nicht: Wieso den Menschen erschaffen, der nur Unruhe bringt? – „… Wir verkünden doch Dein Lob und rühmen Dich. …“ (2:30) Gott zuloben und rühmen ist ein großes Geschenk, es ist aber nur ein Teil der Wirklichkeit. Und so lehrt Gott den Menschen die Namen der Dinge.

Der Künstler

Von einem Künstler erfährt man das Wesentliche nicht, indem man seine Biografie liest, sondern indem man seine Werke betrachtet. Und so hat Gott uns das Geschenk gegeben, ihn selbst in seiner Schöpfung zu erkennen.
Jeder Mensch ist angesichts der Mannigfaltigkeit und Großartigkeit der Welt auf den Schöpfer hin verwiesen. Und jede Erkenntnis, und jedes schöpferische Tun des Menschen, offenbart die Wirklichkeit Gottes um so mehr. Und alles Geschöpfliche steht auch in einem tiefen Zusammenhang, der nur uns Menschen verständlich wird, und etwas mit den Schöpfungsgedanken Gottes zu tun hat.

Die Einheit der Schöpfung

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Pablo Picasso, Frau mit Rabe
Mit freundlicher Erlaubnis von www.germanposters.de.


Picasso hat ein wunderbares Bild geschaffen, „Frau mit Rabe“, in dem drei „Seiende“ zusammenkommen: eine Frau, ein Rabe und ein tiefes Blau. Drei unterschiedlichste Geschöpfe, und dennoch aufs tiefste in diesem Bild miteinander verbunden. Dadurch, dass diese DREI auf dem Bild zusammenkommen, werden sie zu EINEM Kunstwerk. Ebenso ist die Schöpfung Gottes auch EIN „Kunstwerk“, bei dem alles Geschaffene mit dem anderen im Zusammenhang steht.
In diesem Moment, in dem ich diese Zeilen tippe, höre ich die Alpensinfonie von Richard Strauß. Sie beschreibt eine Bergwanderung, die der Komponist als junger Mann gemacht hat. In der Musik wird ein Sonnenauf- und untergang, Bergwiesen, Bäche, ein Wasserfall, ein Gebirgsgewitter und vieles mehr musikalisch gezeichnet. Und dieses Erlebnis versteht sich als Allegorie auf die Lebensbiografie des Komponisten: mit sonnigen Wiesen, steilen Klüften und Gewittern wird nicht nur ein Jugenderlebnis, sondern ein ganzes Leben mit seinen sonnigen Seiten, aber auch mit seinen Herausforderungen gezeichnet.

Völlig Unterschiedliches verweist hier aufeinander:
Musik (als akustisch-physikalisches Phänomen),
Musik (in der Wahrnehmung des Hörenden),
eine Topografie (Gebirgslandschaft),
Wetterphänomene (Gewitter),
ein historische Ereignis (Spaziergang),
eine Lebensbiografie,
und zuletzt schlägt sich die Musik noch in diesem Blogbeitrag nieder und verweist auf die Einheit alles Geschaffenen.
Nur der Mensch kann in all dieser Verschiedenheit der Dinge die ihnen zugrundeliegende Einheit verstehen.

Steine haben an der Schöpfung durch ihre Existenz teil.
Tiere nehmen alles Seiende darüber hinaus mit ihren Sinnen wahr,
Engel können alles seiende weiterhin beschreiben.
Deuten kann es nur der Mensch allein: Gott hat ihn aller Dinge Namen gelehrt.

Der Mensch als Sachwalter Gottes

Jedes Geschöpf dient dem Schöpfer auf seine Weise: der Stein durch seine Festigkeit, das Tier durch sein Verhalten, die Engel durch ihr Loben und Rühmen. Der Mensch als „… Sachwalter Gottes …“ (2:30) erkennt die Schöpfung, und wird selbst schöpferisch tätig.

Picasso setzt das tiefste Aquamarin, eine Frau und einen Raben auf die Leinwand und schafft etwas ganz neues. Strauß erkennt den Zusammenhang zwischen einem Erlebnis, seinem Leben, einer Gebirgslandschaft, setzt all dies in Noten und schafft damit etwas ganz Neues.

Gott hat also den Menschen als Sachwalter in seine Schöpfung gesetzt, indem er Gott, den Schöpfer nachahmt, indem er selbst neues schafft. Wir Christen sprechen biblisch von der „Ebenbildlichkeit Gottes“ und haben damit vielleicht ganz ähnliche Vorstellungen vor Augen.

Zusammenfassend

Wir sind nicht nur Teil der Schöpfung (wie ein Stein), wir nehmen sie auch nicht nur wahr (wie ein Tier) und erkennen sie nicht nur (wie ein Engel), sondern wir erfassen auch deren geschöpfliches Potential. Und damit erkennen wir „aller Dinge Namen“.

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