Der gemeinsame Glaube an den Einen Gott (2:62)

Siehe, die da glauben, auch die Juden und die Christen und die Sabäer – wer immer an Allah glaubt und den Jüngsten Tag und das Rechte tut, die habe ihren Lohn bei ihrem Herrn. Keine Furcht kommt über sie und sie werden nicht traurig sein.“ (2:62)

Die folgenden drei Beiträge

Die Kontinuität im gemeinsamen Glauben an den Einen Gott wurde im vorangehenden Artikel aufgezeigt. Ich danke noch einmal Euch, Hüseyin Lutfi und Ramazan, für Eure Korrektur.

Dass es sich dabei nicht um eine private Meinung handelt, sondern dass die großen christlichen Kirchen diese Auffassung teilen, zeigen zwei Dokumente der Katholischen und der Evangelischen Kirche sehr eindrucksvoll. Im folgenden Beitrag (1) wird dieser Gedanke kurz aufgegriffen.

Die Betonung der Kontinuität ist insofern interessant, als dass es sich sowohl beim Christentum als auch beim Islam um „missionarische“ Religionen handelt: Christen wie Muslime haben den Auftrag, den Menschen von der Größe und Liebe Gottes zu erzählen und sie für Gott zu gewinnen. Dieser Ansatz wird oft dort problematisch, wo die Rede von Gott („Theo-logie“, theos griech. Gott, logos griech. Wort) unreflektiert vermischt wird mit der ganz anderen Frage nach dem Heil, der Erlösung des Menschen („Soteriologie“, soteria griech. Rettung, Erlösung). Das ist das Thema der darauffolgenden Beiträge, in denen es um ebendiesen Trugschluss (2) und die Konsequenzen bezüglich der Einschätzung einer radikalisierten Missionierung geht (3).


(Top)(1)(2)(3)

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Die da glauben, auch die Juden und die Christen (2:62-66)

Siehe, die da glauben, auch die Juden und die Christen und die Sabäer – wer immer an Allah glaubt und den Jüngsten Tag und das Rechte tut, die haben ihren Lohn bei ihrem Herrn. Keine Furcht kommt über sie und sie werden nicht traurig sein. Und als wir euer Versprechen entgegennahmen und den Berg über euch hoben: ‚Haltet an dem, was Wir euch gaben, mit Kräften fest und bedenkt, was darin ist, auf dass ihr gottesfürchtig seid!‘ Danach aber kehrtet ihr euch ab, und ohne Allahs Huld und Barmherzigkeit gegen euch wärt ihr verloren gewesen. Ihr kennt doch diejenigen unter euch, die sich hinsichtlich des Sabbats vergingen, und zu denen Wir sprachen: ‚Werdet ausgestoßene Affen!‘ Und wir machten sie zu einem warnenden Beispiel für die Mit- und Nachwelt und zu einer Lehre für die Gottesfürchtigen. “ (2:62-67)

In diesen sechs Versen zeigen drei Erzählstränge die ganze Fragilität des Glaubens auf; dabei steht jeder Strang nicht für sich, sondern alle dreie müssen in ihrem gemeinsamen Zusammenhang gelesen werden.

Christen, Juden, Sabäer

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Gennadios Scholarios II. mit Mehmed II.
Foto: MARKELLOS (Wikipedia)


Die Grundaussage der ersten Lehre: es gibt einen gemeinsamen Glauben all derer, die an Gott und den Jüngsten Tag glauben und die das Rechte tun. Hier ist zunächst von Juden (und nicht von Israel) die Rede. Also sind klar nicht die Angehörigen bestimmter Völker, sondern die Gläubigen der anderen Religionen gemeint. Obgleich keine Muslime, glauben wir an denselben Einen Gott. Die Sabäer, eine kleinere Religionsgemeinschaft, mögen sinnbildlich dafür stehen, dass auch andere monotheistische Religionen in dieser Großen Umma (wir Christen sagen Ökumene) aller Gottgläubigen stehen. Heute finden zum Beispiel viele Sikh in Deutschland eine Heimat.

Natürlich wird die Abgrenzung zwischen Muslimen als Gläubige auf der einen und uns Christen und Juden auf der anderen Seite nicht aufgehoben. Natürlich sind wir im eigentlichen Sinne als Nichtmuslime Ungläubige. Dennoch, in Abstufung sind wir letztlich auch wiederum gläubig. Und unser Glaube hat auch Heilrelevanz: keine Furcht und Traurigkeit kommt über uns.

Es gibt auch Aussagen, die eine andere Tendenz aufweisen. Das Spannende ist nun, dass eine Interpretation dieser Stellen vor dem Hintergrund von Vers 2:62 nicht nur möglich, sondern in allen (von  mir entdeckten) Fällen plausibel ist, der umgekehrte Fall aber nicht. Darauf komme ich an den entsprechenden Stellen genauer zu sprechen.

Kurz: gottgläubige Nichtmuslime mögen im islamischen Sinne Ungläubige sein, die Heilsmöglichkeit stellt dieses Irregehen aber nicht in Frage.

Der Berg

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Der Berg Horeb (Sinai)
Foto: Tamerlan (Wikipedia)


Die biblische Geschichte – viele Ereignisse spielten sich im Umfeld von Bergen ab. Die Arche des Noach landete auf dem Berg Ararat in der heutigen Türkei (Dank Dir, Ramazan, für die Korrektur). An den Hängen des Tabor ruhten die Israeliten aus, bevor sie auf weitere Eroberungszüge gingen. Auf dem Karmel erwies sich Gott durch ein Feuerwunder als der Eine Wahre Gott – der Prophet Elias setzte dort dem Baalskult ein Ende. Dann der Berg Zion, der für Jerusalem, ja das ganze Land der Verheißung an die Kinder Abrahams steht. Die Programmatischste Rede Jesu, die Bergpredigt, wurde – ja wo wohl? – auf einem Berg gehalten, der heutzutage als „Berg der Seligpreisungen“ bekannt ist.

Der Koran jedoch bezieht sich, davon bin ich überzeugt, auf nur einen Berg, an dem Gott unser Versprechen entgegennahm. Das Versprechen, die grundlegenden Gebote des zwischenmenschlichen Miteinanders und die grundlegenden Gebote des Glaubens an Gott zu halten.  Der Berg, den Gott so „über uns hob“ indem er seine Weisung über uns – und zwar uns Christen und das Volk Israel – legte. Dieser Berg ist der Horeb, der uns auch als Berg Sinai bekannt ist. Hier offenbarte Gott dem Moses die zehn Gebote, die letztlich auch die Grundlage unseres christlichen Doppelgebots der Gottes- und Nächstenliebe sind. Und auch hier sind die Gläubigen hin und hergerissen zwischen dem Glauben an Gott und dem Glauben an die Götzen: sei dies nun ein Götzenbild in Form eines Kalbes, sei es das Gold, aus dem das Kalb geschmiedet wurde oder sei es die vermeintliche Macht seiner Schmiede. Das alte biblische Motiv scheint hier auf: das Volk verlässt die Wege Gottes, erkennt den Fehler, bereut und wird zuletzt wieder von Gott angenommen. Dies wird erläutert am Beispiel des Sabbats.

Die Affen

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Hamsterrad
Foto: Roland M. aus der deutschsprachigen Wikipedia


Wir verdanken unsere siebentägige Woche einem sehr weisen Gebot: der Sabbatruhe. In Anlehnung an den biblischen Schöpfungsbericht – Gott schuf Himmel und Erde an sechs Tagen, am siebten Tag ruhte er – wird die Wochentaktung zum Gebot gemacht. Tatsächlich ist die siebentägige Wochentaktung die einzige Zeittaktung, die nie angerührt wurde: es gibt Schaltjahre, Schaltmonate, Kalenderreformen, in denen ganze Tage verschwanden. Die Wochentage wurden durch die belegte Zeitrechnung hinweg nicht angetastet.

Sechs Tage Arbeit, am siebenten gilt das Gebot der Ruhe. Nun kennen wir das Andere auch: nicht jeder kommt immer zur Ruhe. Und es sind nicht nur Workaholics, die am siebenten (oder wie wir Christen am ersten) Tag der Woche nicht innehalten. Oft mag es sein, dass wir uns selbst dabei ertappen, keine Ruhe zu finden. Gute Freunde, die sich unsere Geschäftigkeit dann ein wenig ansehen, warnen uns: Pass gut auf Dich auf! Oder bleib eben in Deinem Hamsterrad gefangen! Der Vergleich mit dem Hamster ist kein Schimpfwort, eher eine Warnung, dass wir den Ruhetag nutzen sollten. Macht so weiter! Spielt weiter Affenbande! Findet nicht zur Ruhe! Werdet ausgestoßene Affen! Ihr tut euch selbst keinen Gefallen damit!

Nur in dieser Interpretation macht der Vergleich mit den Affen Sinn. Es geht nicht um Juden, Christen, Sabäer. Es geht um Menschen, die den Sabbat nicht ehren. Jeder läuft hier Gefahr, auch die Gläubigen, wer immer an Gott glaubt, Muslime, Juden, Christen, Sabäer.

Nur eine Interpretation, die in diese Richtung zielt, macht Sinn. Und nur eine solche Interpretation kann auch richtig sein, weil genau dies in Vers 2:67 explizite und unmissverständlich so geschrieben steht.

Wer auch immer diese Verse zum Grund nimmt, Juden, Christen und Sabäer als Affen zu verleumden oder wer umgekehrt behauptet, der Islam bezeichne Juden, Christen und Sabäer als Affen, instrumentalisiert den Koran und fällt damit unter die Kategorie der Sünder schlechthin: der Unheilstifter (2:8-16), Gott auf der Zunge, die eigenen Götzen im Herzen. Denn: er überliest bewusst und unverfroren die im Koran selbst explizite bezeugte Interpretation.

Muße als Grundtugend des Gläubigen Menschen

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Auguste Rodin, Le penseur (Der Denker)
Foto: Daniel Stockman (Flickr.com)


Es ist absolut wichtig, dass der arbeitende Mensch Ruhe für sich findet. Um über sich, seine Motivationen, seine Ziele, seinen Glauben, seine Positionen und vieles mehr klar zu werden, um zu denken, um aus dem Hamsterrad, aus dem Käfig der ausgestoßenen Affen zu entkommen, um einfach er selbst zu sein. Und nicht zuletzt: um Zeit zu finden für die größte und wichtigste Suche, auf die sich Menschen je eingelassen haben und einlassen werden: der Suche nach Gott.

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Verhärtete Herzen und Steine, aus denen Wasser fließt: die Kuh (2:67-74)

Und als Mose zu seinem Volk sprach: ‚Siehe, Allah gebietet euch, eine Kuh zu opfern‘, sagten sie: ‚Treibst du Spott mit uns?‘ Da sprach er: ‚Da sei Gott vor, dass ich einer in Unwissenheit wäre.‘ Sie sprachen: ‚Bitte deinen Herrn für uns, uns zu erklären, was für eine Kuh es sein soll.‘ Er sagte: ‚Siehe,  Er spricht, es sei eine Kuh, weder alt noch ein Kalb; in mittlerem Alter zwischen beidem. Und nun tut, was euch geboten ist!‘ Sie sagten: ‚Bitte deinen Herrn für uns, uns zu erklären, von welcher Farbe sie sein soll.‘ Er sagte: ‚Siehe, Er spricht, es sei eine gelbe Kuh, von hochgelber Farbe, eine Augenweide.‘ Sie sagten: ‚Bitte deinen Herrn für uns, uns zu erklären, wie sie beschaffen sein soll; denn siehe, alle Kühe sind für uns ähnlich. Doch, wenn Allah will, werden wir schon richtig handeln.‘ Er sagte: ‚Siehe, Er sprach, es sei eine Kuh, nicht gefügsam gemacht durch Pflügen der Erde und Bewässern des Ackers; sie sei gesund und ohne jeden Makel.‘ Sie sprachen: ‚Nun kommst du mit der Wahrheit.‘ Hierauf opferten sie die Kuh, doch fast hätten sie es nicht mehr getan. Und als ihr jemand ermordet und über den Mörder gestritten hattet – Doch Allah bringt heraus, was ihr verheimlicht! – da sprachen Wir: ‚Berührt ihn (den Getöteten) mit einem Stück von ihr (der Kuh).‘ So macht Allah die Toten lebendig und zeigt euch seine Zeichen, auf dass ihr begreifen möget. Danach aber verhärteten sich Eure Herzen und wurden zu Stein und noch härter. Aber siehe, es gibt auch Steine, aus denen Bäche entströmen; andere spalten sich und es entströmt ihnen Wasser; andere wiederum stürzen fürwahr aus Furcht vor Allah nieder: Und Allah ist nicht achtlos Eures Tuns.“ (2:67-74)

Diese ist  für mich eine der schönsten Erzählungen der zweiten Sure, die insgesamt auch unter dem Namen „Die Kuh“ bekannt ist. Mir erschließen sich die Verse vor dem Hintergrund der christlich-jüdischen Tradition. Das biblische Buch „Debarim“, das wir Christen „Deuteronomium“ (Dtn.) nennen, ist – stark verkürzt dargestellt – ein Gesetzeswerk. Wie wird da das Opfer der Kuh beschrieben?  

Der Sühneritus der Kuh in der urbanen Gesellschaft der biblischen Zeit

Die Kapitel Dtn 19 und 21 stehen in engem Bezug zueinander. Es geht in beiden Kapiteln um rechtliche Regelungen zu schwierigen Sonderfällen bei Tötungsdelikten in der urbanen Gesellschaft, bei denen die Beziehungen unterschiedlicher Städte berührt sind.

Konkret geht es in Kapitel 19 tödliche Unfälle bzw. den Fall der fahrlässigen Tötung. Wenn jemand ohne Tötungsabsicht einen Unfall verursacht – Beispiel: beim Holzfällen löst sich der Schaft der Axt vom Stiel und trifft einen anderen Menschen dabe tödlich – so genießt er in den benachbarten Städten Asylrecht, um der Verfolgung durch Verwandte des Getöteten zu entkommen.  

Die Grundaussage hier: Es darf kein unschuldiges Blut fließen.

Im zweiten Falle erlischt das Anrecht auf Asyl dann, wenn der Asylsuchende im Streit mit Absicht gemordet hat.

Grundbotschaft: üble Taten fallen auf den Übeltäter selbst zurück und sonst niemanden.  Es darf kein unschuldiges Blut fließen.

In den sehr konfliktreichen Verhältnissen konkurrierender Städte darf ein Mord keine Spirale der Gewalt auslösen oder sogar Kriegszüge, sondern eine einmalige gleichartige Strafe soll die Tat sühnen: Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn ist nicht das Gebot der Rache, sondern das Gebot der Mäßigung.  

In beiden Fällen geht es nicht nur um individuelle Personen, der Asylfall betrifft letztendlich das Verhältnis zwischen zwei Städten. Und es wird nicht nur das korrekte Vorgehen im Konfliktfall geklärt, sondern auch die Zuständigkeiten. So übergeben etwa die Ältesten der Stadt den fälschlich Asylsuchenden, so wird die Bewertung von Zeugenaussagen und die Rolle von Richtern und Priestern festgelegt.

Im 21. Kapitel wird ein weiterer schwieriger Fall behandelt, der ebenso das Verhältnis benachbarter Städte bedrohen mag. Wird auf dem Felde – also eben nicht in der Stadt – ein Erschlagener gefunden, dessen Mörder nicht bekannt ist, so darf ebenso daraus kein schwerwiegender Konflikt zwischen Städten entstehen. Auch hier wird keine Menschenjagd gestartet, auch hier darf kein unschuldiges Blut vergossen werden. Stattdessen wird ein Sühneritus initiiert, der die Vergeltung beendet. Die Stadt, die als nächste am Fundort der Leiche liegt, übernimmt in Vertretung des Mörders die Verantwortung, anstelle des Mörders wird eine Jungkuh getötet. Es handelt sich hier nicht um ein Opfer, sondern eine Tötung der Kuh durch Genickbruch seitens der Stadtältesten, obgleich auch hier Priester und Leviten ein Segensgebet durchführen und mögliche Konflikte beenden: „und nach ihrem Ausspruch gehe jede Streitsache und jeder Schaden.“ (Dtn. 21, 5)

Auge um Auge, Zahn um Zahn  

Und du sollst das Böse hinwegschaffen aus deiner Mitte. Die übrigen aber sollen hören und fürchten und ferner nicht mehr solches Böse tun in deiner Mitte Und  nicht soll dein Auge sich härmen: Leben um Leben,  Auge um Auge,  Zahn um Zahn,  Hand um Hand,  Fuß um Fuß.“ (Dtn. 19, 19-21)

Es ist ein sehr geläufiges Missverständnis, die Kurzformel „Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn“ gebiete die Rache. Christen wurden nicht müde, dieser Formel das Gebot der christlichen Nächstenliebe entgegenzustellen, um damit fälschlich die Überlegenheit des Christentums gegenüber dem Judentum und – politisch – des Westens gegenüber dem Osten zu behaupten. Jede Gesellschaft verankert die Sühne für Verbrechenin ihren Gesetzen, und natürlich ist das Anrecht auf Unversehrtheit des Leibes ein hoch zu schätzendes Gut. Unser Strafrecht kennt keinen solchen direkten Ausgleich.  

Wer nun aber die biblische Formel aus der Perspektive des heutigen Westeuropäers – aus dem Kontext der Perikope gerissen – hört, dem drängt sich ein falscher Eindruck auf. Dabei steht explizite und völlig unmissverständlich der Ansatz dieser Ausgleichsregelung in der Schrift selbst.  

Es geht überhaupt nicht um Rache. Dieses Wort ist nicht einmal erwähnt. „ Du sollst das Böse wegschaffen aus deiner Mitte.„, nur darum geht es.   Man  muss sich die damaligen Städte als losen Verbund vorstellen, innerhalb dessen es keine staatliche Gewalt gibt, die die Gesetze von Seiten einer Regierung durchsetzen kann. Jede Stadt hat ihre Gremien – das sind im wesentlichen die Stadtältesten, die Priester und die Richter – mit ihren jeweiligen Kompetenzen und Aufgaben.  

Da braucht es ein Gesetz, das von allen akzeptiert wird und das zugleich generationsübergreifende Blutfehden zwischen Städten oder Familien verhindert. Das Böse – eine singuläre böse Tat, etwa ein Mord – muss durch einen singulären Ausgleich ein Ende finden und darf daraufhin – und schon gar nicht städtisch sanktioniert – in einer Spirale der Gewalt seine Fortsetzung finden.  

„Auge um Auge“ ist kein Gebot zur Rache. Vielmehr gilt auch hier der Grundsatz: kein unschuldiges Blut!

„Auge um Auge“ ist die Grenze, die der Rachsucht entgegengesetzt wird:  
Wenn dein Herz kocht, weil dir oder deiner Familie ein Unrecht zugefügt wurde,
wenn du den Übeltäter findest und Genugtuung durchsetzen willst,
wenn nichts dich davon abhalten kann,
dann wisse: die Grenze, die du nicht überschreiten darfst, heißt „Auge um Auge“.

Die Angehörigen des Übeltäters müssen diese Rache akzeptieren und dürfen nicht wiederum Rache nehmen, wenn aber Du darüber hinaus gehst, dann begehst Du ebenso ein Verbrechen.

Hätte sich der christliche Westen 1914 an das Gebot „Leben um Leben“ nach dem Attentat am Österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz-Ferdinand gebunden gefühlt, dann hätte es vielleicht – wie geschehen – Todesurteile gegeben – das wäre schlimm genug – oder es wäre einer Kuh das Genick gebrochen worden. Aber möglicherweise wäre erst gar nicht zum Ausbruch des 1. Weltkrieges gekommen? – Kein unschuldiges Blut!

So erhellt der Koran die israelitische Rechtsvorschrift

Gerade in Mordfällen kochen die Emotionen hoch: verzweifelte und rachsüchtige Verwandte, alte Konflikte, die wieder hochkommen, ggf. zu falschen Verdächtigungen führen. Vielleicht verschieben sich auch Machtverhältnisse. Das Ritual der Kuh verlangt Mäßigung. Sehr schön im Koran die Beschreibung der Kuh: nicht zu jung, nicht zu alt, im mittleren Alter. Das steht für die Mitte, die Mäßigung.

Die Grundbotschaft fasst der Koran noch einmal richtig lebensnah zusammen:
Emotionen kochen hoch, Herzen verhärten, werden zu Stein, ja, noch härter. Das liegt in der Natur der Sache. Aber die Kuh bietet einen Ausweg, und für Gott ist nichts unmöglich. Es gibt Steine, denen entströmen Bäche, sie teilen sich, und ihnen entströmt Wasser. Gott macht, so der Abschluss, die Toten lebendig. Und damit ist nicht der Ermordete gemeint, sondern der kleine Tod, den all diejenigen erlitten haben, denen der Ermordete lieb und teuer war.

Das Sühneritual fordert, dass die Ältesten der betroffenen Stadt bekennen: „‚Unsere Hände haben dieses Blut nicht vergossen und unsere Augen haben es nicht gesehen. Gewähre Sühne Deinem Volk Jisra’el, das Du, o Ewiger, erlöst hast und lass nicht unschuldig Blut sein inmitten Deines Volkes Jisra’el!‘ Und so wird ihnen das Blut gesühnt werden.“ (Dtn. 21, 8) – Dadurch kommen die Betroffenen zusammen, und erkennen Gott wiederum als ihre gemeinsame Mitte an. Und so kann der Koran den optimistische  Ausblick geben, „andere wiederum stürzen fürwahr aus Furcht vor Allah nieder: Und Allah ist nicht achtlos Eures Tuns.“ (2:74)

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Gottes Wort (3)

Die Schrift als „Gotteswort in Menschenwort“ ist von Menschen geschrieben und deshalb reich an Impulsen und unterschiedlichsten Interpretationsmöglichkeiten. Allein in unserer langen Kirchengeschichte werden und wurden biblische Erzählungen immer wieder unterschiedlich gedeutet: zum Beispiel wurde die Schöpfung in sieben Tagen historisch interpretiert: Gott habe Himmel und Erde in sieben Zeittagen (also 7 mal 24 Stunden) erschaffen, eine Vorstellung, die heutzutage eine wundersame Rennaissance bei protestantischen Christen US-amerikanischer Couleur erlebt.

Steht am Ende als Konsequenz eine große Beliebigkeit: mit der Bibel könne man eben alles und gar nichts vertreten?

Dagegen steht der Anspruch, Wort Gottes zu sein, damit auch – ebenso wie der Koran – Rechtleitung für die Gläubigen zu sein.

Der unerschöpfliche Schatz

Papst Benedikt sagte dazu in einer Ansprache: „Das Wort ist immer größer als die Exegese der Väter und die kritische Exegese, weil auch diese nur einen Teil, ja, ich würde sagen, einen sehr kleinen Teil versteht. Das Wort ist immer größer – das ist unser großer Trost. Und es ist einerseits schön zu wissen, dass man nur ein klein wenig verstanden hat. Es ist schön zu wissen, dass es noch einen unerschöpflichen Schatz gibt und dass jede neue Generation wieder neue Schätze  entdecken und weitergehen wird mit der Größe des Wortes Gottes, das uns immer voraus ist, uns leitet und immer größer ist. Mit diesem Bewusstsein muss man die Heilige Schrift lesen…“ (Begegnung mit dem Klerus von Rom am 22. Februar 2007)

Maßstäbe: 1. Liebe

Hier ist nicht von einer Beliebigkeit die Rede, sondern von dem Gegenteil: von einem „unerschöpflichen Schatz“, den es zu heben gilt. Und hier kann eine Interpretation immer nur eine Auslegung im Glauben sein. Und Maßstab dieser Auslegung ist für mich in  erster Linie der Maßstab allen Denkens und Handelns schlechthin: der Maßstab der Liebe. Dem Doppelgebot der Nächsten- (Menschen-, auch Feindes-) und Gottesliebe kann das Wort Gottes nicht widersprechen.

Und wenn der Prophet Elias die Baalspriester am Bach Kischon am Berg Karmel (in der Nähe des heutigen Haifa) tötet, so lautet die Botschaft für mich nicht: ‚Tötet eure Feinde‘. Dieses ‚Gebot‘ widerspräche der Nächstenliebe. Vielmehr sagt hier Gott zu uns: ‚Wer auf mich vertraut, braucht seine Feinde nicht zu fürchten.

2. Vernunft und Wissen  

Ein zweites Kriterium: die Auslegung darf unserer Vernunft und unserem Wissen nicht widersprechen. Ich habe oben die christliche Auffassung der „Kreationisten“ erwähnt, die die Bibel geschichtlich interpretieren und unter der Maßgabe, die Bibel könne nicht lügen, von einer Schöpfung der Welt in sieben 24-Stunden-Tagen ausgehen. Mit dieser Vorstellung schaffen sie es in einigen Schulen der USA sogar, im Biologieunterricht die Vermittlung der Evolutionstheorie zu verhindern. Dummheit im Namen der Bibel.

Ihre Vorstellung: Gott habe die Spuren einer vorgeblichen Evolution so geschickt in die Tier- und Pflanzenwelt gelegt – diese können ja nicht geleugnet werden, sie sind offensichtlich – um diejenigen, die nicht an die „Bibel“ glauben, zu täuschen und in die Irre zu leiten. Damit trennt Gott die „Rechtgläubigen“ (der eigenen „charismatischen“ Bewegung) von den Ungläubigen (alle anderen Menschen). Diese Auffassung ist ganz grundsätzlich durch keine naturwissenschaftliche Entdeckung oder theologische bzw. philosophische Erwägung zu widerlegen. Was auch immer entdeckt wird, selbst wenn die gesamte evolutionäre Entwicklungskette lückenlos bekannt wäre: Gott ist allmächtig, damit ein perfekter falscher Spurenleger.  

3. Gottesbild, Menschenbild

Ein drittes Kriterium für die Interpretation deutet sich an: das einer Interpretation zugrundeliegende Menschen- und Gottesbild muss annehmbar sein. Einer Religion könnte ich nicht folgen, die davon ausgeht, dass der Schöpfergott uns mit Sinnen, Vernunft, Entdeckerlust und Neugier ausgestattet hat, um uns dann bewusst durch trügerische Spuren zu täuschen. Oder ein Gottesbild, das von einem Gott der Liebe ausgeht, der allerdings den Großteil der Menschheit nicht zum Ziel der Vollendung führt, nur weil sie zufällig einer der tausend „falschen“ Religionen angehören, und nicht der einen (eigenen, zum Teil sehr kleinen) Splittergruppe.

4. Hinterfragbarkeit der Auslegung

Ein weiteres Kriterium: eine Interpretation, die davon ausgeht, die letztendlich gültige zu sein, trifft meines Erachtens nicht den Kern des Biblischen. Gerade die Brüche und verschiedenen – zum Teil gegenläufigen – Tendenzen verweisen ja auf das enorme Potenzial der Heiligen Schrift. Gott hat ein relatives Medium der Verschriftlichung für seine Botschaft  vorgesehen, die menschliche Sprache. Bibel ist Literatur, und wie jede Literatur ist sie offen für die unterschiedlichen Zugänge, und – ja, ruft sogar danach, immer wieder neu entdeckt zu werden.

Gerade deshalb muss sich jede Auslegung ihrer Vorläufigkeit bewusst sein und offen für den Prüfstand. Ein Ansatz, der sich selbst verabsolutiert, verrät vom Interpreten, dass dieser sich nicht mehr auf dem Weg der Suche Gottes befindet, sondern sich im gnadenreichen Zustand wähnt, Gott bereits gefunden zu haben. Ein solcher Ansatz trifft meines Erachtens nicht den Kern des Biblischen: Er tauscht Vielfalt gegen Einfalt, Offenheit gegen Sektierertum und in letzter Konsequenz die Liebe gegen formelle Gesetzestreue.

Vernommen, verstanden und wissentlich verdreht

Und Menschen, die wider besseren Wissens die Heilige Schrift, das Wort Gottes, instrumentalisieren,
Menschen, die durch die Predigt ihrer partiellen Meinung Einfluss auf andere Menschen nehmen,
Menschen, die unter Berufung auf die Schrift persönliche Macht über andere erlangen oder sichern,
Menschen, die im Namen der Schrift Kriege führen (Beispiele dafür gibt es in den meisten Religionen),  

die müssen sich schon die Frage beantworten, ob der Vorwurf nicht ihnen gilt, wenn der Koran schreibt: „Aber ein Teil von ihnen hat Gottes Wort vernommen und verstanden und hernach wissentlich verdreht“ (2:75).

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Gottes Wort (2)

Wie uns Gott beschenkt

Im Christentum sind Dankgebete vor (oder nach) den Mahlzeiten sehr verbreitet. Wir danken Gott dafür, dass wir an diesem Tag satt werden und dass er uns mit dem versorgt, was wir brauchen. So beten die Mönche meines Benediktinerordens mit den Worten des Psalmisten: „Aller (Menschen) Augen warten auf Dich, o Herr. Du gibst ihnen Speise zur rechten Zeit.“ Der Psalm fährt fort: „Du tust Deine milde Hand auf und sättigst alles, was da lebt, mit Wohlgefallen.“

In unserem wichtigsten Gebet, der „Fatiha“ des Christentums, das wir nach seinen ersten Wörtern das „Vaterunser“ nennen, heißt es: Unser tägliches Brot gib uns heute“. Wir verdanken Gott unser Brot.

Nun könnte jemand sehr plump einwenden, bei dem von Gott gegebenen Brot handele es sich gar nicht um Brot, sondern um ein Brötchen. Und es sei auch nicht ein Brötchen, sondern (bei uns morgens) sechs sehr unterschiedliche: zwei „Knackfrische“, zwei „Backhus-Semmeln“, ein Sesambrötchen und ein Laugencroissant. Und die habe auch nicht Gott, sondern der Bäcker gebacken. Unterschiedlich in Form, Farbe und Geschmack: jedes ein Meisterwerk von Bäckerhand.

Also: statt des Dankgebets nun eine nette E-Mail an den Bäcker. Gott gebührt kein Dank?!

Natürlich ist unser Essen Gott verdankt. Er hat Pflanzen und Tiere erschaffen und segnet uns Mitteleuropäer sehr freizügig mit Regen, welcher der eigentliche Grund für den Reichtum der westlichen Welt ist. Er lässt das Korn wachsen; dies ist unsere Speise. Klar, auch die Sonntagsbrötchen in ihrer ganzen Unterschiedenheit verdanken wir letztendlich Gott.

Offenbarung

Ein wenig so ist unser Verständnis der Offenbarung und der Heiligen Schrift. Gott offenbart sich den menschlichen Autoren in seiner eigenen, ganz unmittelbaren Sprache, die keiner Wörter bedarf und in Worten nicht fassbar ist. Ebenso, wie wir die Gaben Gottes für eine gute Ernte – den Ackerboden, ein günstiges Wetter und vieles mehr – nicht essen kann, sondern darauf warten muss, dass der Bäcker mit den Brötchen aufwartet, ebenso ist die Offenbarung Gottes durch den, der sie erfahren hat, unmittelbar  nicht möglich. Sie muss in Worte – und damit in Wörter – gefasst werden.

Die biblischen Autoren schreiben in ihrer Sprache – dem Hebräischen, Aramäischen und Griechischen ihrer Zeit – von ihrer Gotteserfahrung. Damit ist dies originäre Wort Gottes nicht nur innerhalb der Grenzen der jeweiligen Sprache, sondern auch in der grundsätzlichen Begrenztheit unseres Denkens in der Schrift gebunden. Ebenso, wie der Bäcker Brot und Brötchen nur in den Grenzen dessen verwirklichen kann, was die Zutaten und seine Fähigkeiten hergeben.  

Offenbarung ist für uns Christen kein wörtliches Einflüstern („Verbalinspiration“), sondern Gotteserfahrung, die in den Worten und den Denkweisen konkreter einzelner Menschen Ausdruck findet. Und so unterschiedlich die einzelnen Autoren sind, so unterschiedlich inAnsatz, Aussage und Form sind auch die Texte. Der Theologe Karl Rahner prägte den Begriff „Gotteswort in Menschenwort“.

Diese menschliche Komponente streitet kein ernstzunehmender Christ mehr ab: das Wort Gottes ist bunt, gebrochen, zuweilen widersprüchlich und äußerst komplex. Und doch: die Wirklichkeit Gottes strahlt aus der Schrift hervor,  die – nicht obwohl, sondern gerade weil sie den Weg in Sprache gefunden hat – von uns als originäres Wort Gottes bekannt wird.

Von der Analyse zur Interpretation

Die im vorangehenden Beitrag erwähnte „historisch-kritische Analyse“ befasst sich mit den sprachlichen und thematischen Brüchen, rekonstruiert den biblischen Text, nimmt ihn auseinander und erklärt, wie die verschiedenen Impulse zueinander gefunden haben. Dies ist ganz entscheidend für die Interpretation. Und hier geht es dann im letzten Schritt um eine Suche: die Suche nach der Botschaft Gottes, und es liegt auf der Hand, dass dieser letzte Schritt weder trivial noch eindeutig ist.

Auf den ersten Blick mag das als „Schwäche“ der Schrift wahrgenommen werden, tatsächlich macht gerade dies für uns Christen die Stärke des Wortes Gottes aus. Die Grundbotschaft für uns:

Es gibt keine Patentrezepte. Glaube ist stets eine Suche Gottes. Ein persönlicher Weg, geleitet und begleitet durch Gottes Offenbarung, die uns zugleich Anspruch ist. Es gibt keinen festen Regelkanon, den man einfach befolgen kann, um zu Gott zu gelangen. Unsere persönlichen Entscheidungen sind gefordert, die wir in unserer komplexen Welt nicht an Gott und sein wortwörtliches Wort delegieren können.

(Wird fortgesetzt.)

Was mich interessiert:

Der Koran ist im Vergleich zur Bibel sehr einheitlich. Und – so habe ich gelesen – von unglaublicher sprachlicher Schönheit. Allerdings gibt es doch auch an der einen oder anderen Stelle unterschiedliche Tendenzen in der Aussage oder Verse, die nicht selbsterklärend sind, und bei denen man auf eine Interpretation angewiesen ist. Meine Frage an die Muslime:

Gibt es auch einen menschlichen Anteil im Koran? Wie stellt Ihr Euch die wörtliche Inspiration des Propheten durch den Erzengel vor?  

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Gottes Wort (2:75-81)

„Wünscht ihr, dass sie euch Glauben schenken? Aber ein Teil von ihnen hat Allahs Wort vernommen  und verstanden und hernach wissentlich verdreht.“ (2:75)

Gott schenkt uns sein Wort. Jeden Menschen leitet er durch sein Gesetz, das er in unsere Herzen gepflanzt hat, und das jedem Menschen sagt: das Gute ist zu tun, das Böse zu unterlassen. Er hat uns auch  nicht ohne Richter gelassen: dieser ist unser Gewissen, das uns mahnt, das Gesetz auch zu beachten.   Damit ausgerüstet ist jeder Mensch in der Lage, den Willen Gottes zu tun. Unabhängig von der Religion, der er angehört.

Juden, Christen und Muslimen hat Gott aber in besonderer Weise Rechtleitung gegeben. Für uns sind die Bibel bzw. der Koran von Gott offenbart.

Der Weg der Offenbarung ist dabei sehr unterschiedlich. Hier verhält es sich dann wie so oft in missverständlichen Situationen: wer die eigenen Ansprüche an das Andere anlegt, wird bald auf Widersprüche oder Unverständliches stoßen.

In diesem Zusammenhang nun also der – ja – Vorwurf der bewussten Verfälschung des originären Wortes Gottes. Und auf den ersten Blick hat dieser Vorwurf etwas Wahres: Wir bekennen die Bibel als Wort Gottes, und in ihr steht zahlloses menschliches.

Die Bibel ist von Menschen geschrieben. Die biblische Theologie erkundet sehr genau, wer die biblischen Schriftsteller, Redakteure, Korrekturleser und Kopisten sind. Wir Theologen erforschen diese Leute, und wissen sehr viel über sie: über ihre religiösen, politischen und gesellschaftlichen Ansichten, über ihre gesellschaftliche Stellung, ihre sozio-kulturelle Herkunft und manchmal auch über ihre persönliche Biografie. Und das meiste davon lesen wir aus der Bibel heraus.

Wir erforschen auch die Brüche in der Bibel: die unterschiedlichen Intentionen und Vorstellungswelten der einzelnen Autoren, die sprachlichen Besonderheiten und vieles mehr. Von Einheitlichkeit keine Spur.

Auch werfen wir den Blick auf die Unterschiedlichkeit der literarischen Gattungen: die Bibel, das ist eine Vielzahl unterschiedlichster Texte: Geschichtswerke finden sich hier, Gesetzestexte, Prophetien, Briefe, Aphorismensammlungen, Liedtexte und sogar eine Sammlung von Liebesliedern.

All das ist die Bibel, aber eigentlich haben wir nicht einmal diese, weil kein einziger Text im Original erhalten ist. Wir haben nur Abschriften von Abschriften, und es ist eine eigene Disziplin der biblischenTheologie, bei den unterschiedlichen Versionen Kriterien zu finden, um entscheiden zu können, welche Fassung überhaupt zugrundegelegt werden soll.

Und zuletzt sind wahrscheinlich nur die wenigsten der Texte unter dem Anspruch geschrieben, Wort Gottes zu sein. Erst nachträglich sind bestimmte Schriften als Heilige Schrift zusammengetragen (kanonisiert) worden.

Kann also ein solches Sammelsurium Wort Gottes sein? Oder handelt es sich bei der Bibel nicht doch um genau das im Koran beschriebene Phänomen der Fälschung von Gottes Botschaft?

Fortsetzung folgt.

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Kontinuität der Religionen – Weisung (2:40-66)

O ihr Kinder Israels! Gedenkt meiner Gnade, mit der Ich euch begnadete, und haltet euer Versprechen. Mir gegenüber, dann will auch Ich halten, was Ich euch verheißen habe. Mich allein sollt ihr ehren. Und glaubt an das, was ich zur Bestätigung eurer Schrift herabsandte, und seid nicht die ersten, die es leugnen, und verkauft nicht meine Botschaft für einen winzigen Preis. Mich allein sollt ihr fürchten.“ (2:40-41)

Der gleiche Aufbau dieser beiden Verse zeigt: sie bilden eine Einheit und leiten einen neuen Gedanken ein. Dies ist insofern bedeutend, als dass ansonsten das Folgende missverständlich wäre.

Worum geht es also? – Nicht um einen Bund des Volkes mit Gott, aber um nicht viel weniger: Um ein Versprechen der Gläubigen Israels gegenüber Gott und die ungebrochene Verheißung an das Volk Israels. Die Botschaft: „Mich allein sollt ihr ehren.“

Worum geht es? – Nicht um eine „Absetzung“ der (Hl.) Schrift handelt es sich bei der koranischen Offenbarung, sondern im Gegenteil: um die Bestätigung der Schrift. Die Botschaft: „Mich allein sollt ihr fürchten“.

Der Zusammenhang mit den folgenden Beispielen in den Versen 2:49-61 zeigt deutlich, dass die Weisung „und seid nicht die ersten, die es leugnen, und verkauft nicht meine Botschaft für einen winzigen Preis“ keine Aufforderung ist, vom Judentum zu konvertieren, sondern genau das Gegenteil: die Bestätigung der Gnade, die Gott allen Gläubigen zukommen lässt. Denn: in der Treue zum Glauben an Gott tut man recht. Der Koran greift in den folgenden Bildern ein altes biblisches Motiv auf: das Volk Gottes, das in der Gnade Gottes lebt, sich von Gott abwendet, dafür Strafe erfährt und zugleich eine Rechtleitung durch Wunder und Propheten Gottes, sich bekehrt und Vergebung erfährt.

Wer hierin eine fortwährende Verunglimpfung des Judentums sieht, verkennt, dass es sich in dieser Schilderung um ein zutiefst biblisches Bild handelt und neben einer Interpretation der Geschichte des Volkes Gottes auch dies ist: ein Bild für die menschliche Verfasstheit insgesamt: hin- und hergerissen zwischen Glaube und Unglaube, Tugend und Laster, Hinwendung und Abkehr, guter Tat und Sünde.

Worin besteht die Treue zu Gott für in diesem weiten Sinne alle Gottgläubigen? – Dies verdeutlicht noch einmal die vorgeschobene Weisung:

Und kleidet nicht die Wahrheit in Lüge, und verbergt nicht die Wahrheit wider Wissen. Und verrichtet das Gebet und entrichtet die Steuer und beugt euch mit den Beugenden (im Gebet). Wollt ihr (Juden) den Leuten Frömmigkeit gebieten und eure eigenen Seelen vergessen, wo ihr doch die Schrift (Thora) lest? Habt ihr denn keine Einsicht? Und nehmt eure Zuflucht zur Geduld und zum Gebet. Siehe, dies ist fürwahr schwer, außer für die Demütigen, die da glauben, dass sie ihrem Herrn begegnen und dass sie zu ihm heimkehren werden. O ihr Kinder Israels! Gedenkt meiner Gnade, mit der ich euch begnadete, und dass ich euch vor aller Welt bevorzugte. Und fürchtet einen Tag, an dem von ihr weder Fürsprache noch Lösegeld angenommen und ihnen nicht geholfen wird.“ (2:42-48)

Wir haben am Anfang der Sure das Paradigma für den sündigen Menschen kennengelernt: der Unruhestifter, der Gott auf der Zunge und die Pläne seiner eigenen Dämonen im Herzen trägt.

Nun also der große Gegenentwurf hierzu: Gebet, Demut und Rechtschaffenheit („Steuer“) als die Grundmerkmale des Glaubenden. Welch eine großartige Option.

Demut. Der Gründer meines Ordens, der Hl. Benedikt, hat die Demut zur ersten und bedeutendsten Wegmarke zu einem Leben in Liebe gemacht. Der Unruhestifter sieht nur sich selbst. Der Demütige nimmt sich selbst zurück, und je kleiner er sich selbst macht, umso mehr gibt er Gott Raum, sich durch ihn zu offenbaren. Und somit beginnt die Regel des Hl. Benedikt mit der schlichten Weisung: „Höre!“. Und „Höre!“: das ist zugleich die Grundtugend des Gebets.

Gebet und Demut: sie gehören unweigerlich zusammen. Und beides steht im Zentrum auch der Botschaft Jesu. Wer sind bei Jesus die Größten? Die Größten, das sind bei ihm die Kinder („Amen, das sage ich euch: Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen. Wer so klein sein kann wie dieses Kind, der ist im Himmelreich der Größte.“ Mt 18,3-4). Und jene, die den anderen Diener sind („Der Größte von euch soll euer Diener sein. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ Mt 23,12)

Ein wunderschöner Gegenentwurf zum westlichen Denken, das die Herren zu den Größten macht. Ich bin persönlich sehr bewegt durch die Tatsache, dass gerade die Demut Grundtugend auch des Koran ist. Es mag wie ein Paradox klingen, aber: wer die Demut in sich trägt, der zeichnet sich durch eine ganz besondere Stärke und Würde aus. Nicht die Lauten setzen sich letztendlich durch, nicht die, die ihre persönliche Wahrheit in die Welt brüllen, sondern die Stillen, die zuerst einmal hörende, suchende sind, und dann auch etwas mitzuteilen haben. Die Reiche der Mächtigen: sie zerfallen wie Staub (zumeist bereits zu Lebzeiten der Mächtigen!) und die Wahrheit der Philosophen und Propheten, sie bleibt bestehen und der Wunsch nach Ruhe und Frieden, dieser Wunsch der vielen „einfachen“ Menschen, er setzt sich langfristig durch.

Dass die Interpretation dieser Perikope bezüglich der Kontinuität des gemeinsamen jüdischen, christlichen und islamischen Glaubens an den einen Schöpfergott eindeutig koranisch ist, zeigt nun der Vers, der diesen Erzählkranz abschließt.

„Siehe, die da glauben – auch die Juden und die Christen und die Sabäer – wer immer an Allah glaubt und an den jüngsten Tag und das Rechte tut, die haben ihren Lohn bei ihrem Herrn. Keine Furcht kommt über sie und sie werden nicht traurig sein.“ (2:62)

In meiner katholischen Kirche ist in zentralen Dokumenten die Kontinuität der drei Religionen Judentum, Christentum, Islam (histor. Reihenfolge) betont und der gemeinsame Glaube an den Einen Gott.

Meine Frage an mitlesende Muslime und Juden: Seht Ihr diese Kontinuität auch, und wo würdet Ihr die Grenzen zwischen den Religionen ziehen?

Und an die Mitchristen auch anderer Konfessionen: Wie ist in Eurer Kirche das Verhältnis zu Judentum und Islam definiert?

@alle: Wie steht Ihr zur Demut? – Ist es nicht völlig quer, diese Tugend hochzuhalten? – Schließt sie nicht sogar ein selbstbewusstes Leben aus?

@alle: Natürlich freue ich mich über alle anderen Impulse, Fragen und Kritikpunkte!

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Stellvertretung (2:48)

„Und fürchtet einen Tag, an dem keine Seele für eine andere etwas bewirken kann: an dem von ihr weder Fürsprache noch Lösegeld angenommen und ihnen nicht geholfen wird.“ (2:48)

Ein guter Gedanke: am Tag des Gerichts wird jeder Mensch nur und allein nach seinem Glauben und seinen Taten „gerichtet“; keine Fürsprache seitens anderer kann da Rettung bewirken. Eine Forderung der Gerechtigkeit.

Vor der Ferienpause ging es im Blog um die Frage nach dem Leid Jesu am Kreuz (Beitrag Hölle [2], http://www.christ-koran.de/holle-2/ ). Und hier versprach ich noch einen Beitrag zum Stellvertretungsgedanken, wie er vom Theologen Hans Urs von Balthasar aufgegriffen wird. Und auch, wenn dieser schwierige Stoff mich und alle Leser noch einmal fordert, will ich damit diesen Zyklus der theologischen Gräben zwischen Islam und Christentum von meiner christlichen Seite her schließen: die grundlegend trennenden theologischen Bilder und Themen wären nämlich aus meiner christlichen Sicht damit abgeschlossen: Alle weiteren Differenzen – so meine Überzeugung nach der Lektüre des Korans – trennt den Glauben an den Einen Gott in der muslimischen und christlichen Ausprägung nicht mehr unüberbrückbar.

All dies hier auch noch einmal vor dem Hintergrund der Unmöglichkeit, mit Sprache die Wirklichkeit Gottes zu erfassen. Es ist nicht die Wirklichkeit Gottes in ihrer Fülle, sondern es sind Bilder von Gott, die wir uns in unserer Sprache und unserem begrenzten Denkvermögen machen. Die hinter unseren Bildern stehende Wirklichkeit Gottes ist möglicherweise – und davon bin ich überzeugt – groß genug, die Differenzen unserer Vorstellungen letztendlich zu überbrücken (vgl hierzu Beitrag Der hundertste Name Allahs: http://www.christ-koran.de/der-hundertste-name-allahs/ ). Bevor wir im nächsten Beitrag also die Kontinuität zwischen den drei Religionen Judentum, Christentum und Islam in den Blick nehmen, kommen wir nun aber zunächst noch einmal zum letzten Schritt unseres Reigens, dem christlichen Gedanken der „Stellvertretung“.

„Stellvertretung“ deutet sich im Alten Testament in den Gottesknechtsliedern des Jesajabuchs an. Hier wird in prophetisch-visionärem Stil eine Person gezeichnet, der „Knecht Gottes, der, von Gott dazu berufen, das Leiden für die Schuld der Menschheit auf sich nimmt und trägt: „Seht, mein Knecht hat Erfolg, er wird groß sein und hoch erhaben. Viele haben sich über ihn entsetzt, so entstellt sah er aus, nicht mehr wie ein Mensch, seine Gestalt war nicht mehr die eines Menschen. […] Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er verachtet; wir schätzten ihn nicht. Aber er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt. Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt. […] Nachdem er so vieles ertrug, erblickt er das Licht. Er sättigt sich an Erkenntnis. Mein Knecht, der gerechte, macht die vielen gerecht; er lädt ihre Schuld auf sich. Deshalb gebe ich ihm seinen Anteil unter den Großen, und mit den Mächtigen teilt er die Beute, weil er sein Leben dem Tod preisgab und sich unter die Verbrecher rechnen ließ. Denn er trug die Sünden von vielen und trat für die Schuldigen ein.“ (Jes. 52, 13-14; 53, 4-5, 11-12)

Der Mensch Jesus ist es für uns Christen, der diese Prophezeihung erfüllt, der das Leiden der Welt, das durch die Sünde verursacht wird, im Leiden am Kreuz auf sich nimmt. Aber nicht nur das:

Als Christus zum Gelähmten sprach „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ (Mk. 2,5), da ärgerten sich die Pharisäer: „Wer kann Sünden vergeben, außer dem Einen Gott?“. Dem pflichtet von Balthasar bei: Gott allein, aber so, dass er zugleich diese Sünden übernimmt und für sie büßt.“ (v. Balthasar, Stellvertretung: Schlüsselwort christlichen Lebens, Freiburg 1976, S. 5)

Dass dieser Art Übernahme keine platte ‚Satisfaktion Gottes‘, Genugtuung, Besänftigung, sein kann, liegt auf der Hand. Diese wäre das in Sure 2:48 erwähnte „Lösegeld“. Sie ist aber ebensowenig bloß ein Symbol für den Versöhnungswillen Gottes, sondern der „Akt der Versöhnung selbst“ (v. Balthasar, Pneuma und Institution, Einsiedeln 1974, S. 401)

Das Leid wurde demnach nicht relativierend aufgehoben oder, im anderen Extrem, verherrlicht, sondern in seinem ganzen Ernst unterfasst. Dieser Anprall der Liebe Gottes auf die immer wieder neues Leid schaffende Sünde deutet bereits die Konsequenz hieraus an: das Leiden Christi ist inklusiv: es umschließt das menschliche Leiden und schließt es in sich ein. Die Aussage Christi, wer sein Jünger sein wolle „nehme sein Kreuz auf sich und folge [ihm] nach“ (Mt. 16,24) gewinnt so ihren eigentlichen Inhalt: die Schreie der Leidenden sind zugleich der Schrei Jesu am Kreuz.

Da der Heilswillen Gottes die gesamte Schöpfung umfasst, weist von Balthasar darauf hin, dass jedes menschliche Leid in Christi Leiden mit einbehalten ist. Und zwar ausdrücklich das Leid aller Menschen: Gott ist nach unserer Auffassung keineswegs apathisch einerseits oder – im Gegenteil – rachsüchtig und Leid verursachend oder fordernd. Die Unendlichkeit und Unbegrenztheit Gottes macht nicht einmal vor der menschlichen Begrenztheit halt; der Hiatus zwischen begrenztem Geschöpf und unbegrenztem Gott hebt sich auf: Gott wäre nicht unbegrenzt, wenn er eine Grenze darin fände, dass es ihm verwehrt sei, selbst Geschöpflichkeit zu erfahren.

Ein Vorurteil ist die Vorstellung, das Christentum vertrete eine satisfaktorische Theologie: ein rachsüchtiger Gott, erzürnt durch die Erbsünde eines historischen Menschen Adam, entzog dem gesamten Menschengeschlecht seine Gnade. Und dann, um Wiedergutmachung zu fordern, wurde er Mensch, um durch das Blutopfer seiner selbst, befriedigt zu sein und den Menschen deshalb wieder Erlösung zuteil werden zu lassen. Dieses Bild ist in Bezug auf das Gottesbild (vgl. Beitrag Der eine Gott (2:38): http://www.christ-koran.de/der-eine-gott-238/ ), in Bezug auf die heilsgeschichtliche (vgl. Beitrag „Hölle (2:39)“: http://www.christ-koran.de/holle-239/ ) und in Bezug auf die christologische Dimension (vgl. Beitrag Der Eine Gott (3): http://www.christ-koran.de/der-eine-gott-3/) problematisch. Außerdem missinterpretiert dieses Zerrbild die Vorstellung der Erbsünde (vgl. Beitrag Die Sünde Adams: http://www.christ-koran.de/die-sunde-adams-die-vergebung-gottes-237-38/).

Natürlich wird ein solcher Gedanke im Koran abgelehnt, aber auch der im oben skizzierten Verständnis zu Grunde gelegte Stellvertretungsgedanke wird abgelehnt. Und auch hier beneide ich die Muslime ein wenig: Die koranische Vorstellung ist um so vieles – im besten Sinne – einfacher: Gott ist unbegrenzt und deshalb eben kein Geschöpf. Für mich persönlich ist dieser zu seinem Geschöpf hin offene Schöpfer, der nicht statisch einfach seiende, sondern an seiner Schöpfung Anteil nehmende Gott, der in sich ruhende und dennoch geschichtlich wirkende Gott – für mich ist er der Gott, zu dem ich beten kann.

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Die Anrufung der Gottliebenden

Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen.

Mein Gott, wer hat den süßen Geschmack Deiner Liebe zu schmecken bekommen und einen Ersatz für Dich begehrt?

Wer hat die Annehmlichkeit, in Deiner Nähe zu sein, zu spüren bekommen und eine andere Richtung außer Dir angestrebt?

Mein Gott, so mache uns zu jenen,
die Du für Deine Nähe und Dein Wohlbefinden auserwählt hast;
die Du für Dein Begehren und Deine Liebe geläutert hast;
in denen Du Sehnsucht nach der Begegnung mit Dir geweckt,
denen Du Zufriedenheit über Deine Bestimmung gegeben hast,
denen Du Erlaubnis erteilt hast, Dein Antlitz zu schauen;
denen Du Dein Wohlgefallen geschenkt, die du nicht verlassen und
die Du von Deiner Abkehr verschont hast,
für die Du einen Platz auf dem Sitzplatz der Wahrheit in Deiner Nähe bereitet hast,
die Du mit der Kenntnis von Dir bevorzugt hast,
denen Du die Fähigkeit verliehen hast, Dir zu dienen,
deren Herzen Du mit Liebe und Hingabe zu Dir gefüllt hast,
die Du für Deinen Anblick auserwählt hast,
deren Bestrebung Du ausschließlich auf Dich gerichtet hast,
deren Herzen Du von allen außer Deiner Liebe entleert und
in denen Du Sehnsucht zu dem, was bei Dir ist, erweckt hast,
denen Du Gedenken an Dich eingegeben hast,
die Du angehalten hast, Dir zu danken,
die Du einzig mit dem Gehorsam zu Dir beschäftigt hast,
die Du zu Deinen guten Geschöpfen gemacht hast,
die Du für Deine Anrufung auserwählt hast,
die Du von allem losgelöst hast, was sie von Dir trennen würde.

O Gott, mache uns zu denen,
die ihr Wohlwollen stets bei Dir finden,
die sich stets nach Dir sehnen und ständig lamentieren und seufzen.
Ihre Stirne liegen bei der Niederwerfung vor Deiner Erhabenheit auf dem Boden,
ihre Augen bleiben schlaflos in Deinem Dienste,
ihre Tränen fliessen aus Ehrfurcht vor dir,
ihre Gemüter sind angetan von Deiner Liebe,
ihre Herzen sind zerrissen aus Ehrfurcht vor Dir.

O Du, dessen Lichter Seiner Heiligkeit für die Augen Seiner Liebenden ungetrübt sind, und dessen strahlenden Rosenkranzkügelchen gleiches Antlitz für die Herzen der sich zu Ihm Sehnenden sichtbar ist.

O Du Wunsch der Herzen der Sehnsüchtigen und höchste Hoffnung der Liebenden, ich bitte Dich,
gewähre mir die Liebe zu Dir,
die Liebe zu jedem, der dich liebt und
die Liebe zu jeder Tat, die mich in Deine Nähe bringt.

Mache Dich mir zum Liebsten vor allen anderen, und lasse mich durch meine Liebe zu Dir zu Deinem Wohlgefallen gelangen und mich durch meine Sehnsucht nach Dir vor Ungehorsam Dir gegenüber schützen.

Erweise mir die Gnade, dich zu schauen,
und schaue mich mit Liebe und Wohlwollen,
wende Dein Antlitz nicht ab von mir,
und mache mich zu einem derer, die Glück und Gedeihen bei Dir gefunden haben.

O Du Erwiderer, o Du Barmherzigster aller Barmherzigen.

(Imam Sajjad, Übers. durch Islamisches Zentrums Hamburg e.V.)

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Hölle (2)

Die Erlösung ist – so fasse ich den letzten Beitrag zusammen – bereits für jeden Menschen (auch und vor allem unabhängig von seinem religiösen Bekenntnis) erwirkt. Deshalb braucht kein Mensch, der sich der Erlösung nicht wissend widersetzt, Angst vor der ewigen Verdammnis zu haben; Gott ist der Erbarmer, der Barmherzige.

Dennoch: Gottes Liebe erzwingt nichts; wer sich radikal und ganz grundsätzlich dieser Liebe Gottes verweigert, tritt selbst aus dem Geschenk der Gnade heraus. Ob es überhaupt einen solchen Menschen gibt, ist offen. In diesem Zusammenhang ist auf eine Asymmetrie hinzuweisen: meine katholische Kirche hat eine große Zahl Menschen heiliggesprochen. Sie hat damit offiziell erklärt, dass diese für sich die Erlösung erwirkt haben. Es hat nie in Bezug auf einen Menschen eine offizielle Erklärung gegeben, dieser habe die Erlösung nicht erreicht.

Höllenfahrt Christi

Mit der Hölle ist uns Christen jedoch noch ein weiteres Motiv geläufig. Jesus ist am Kreuz gestorben und am dritten Tage auferstanden. Was geschah dazwischen? – Unser Glaubensbekenntnis formuliert es so: „hinabgestiegen in das Reich des Todes“.

Gerade der Tod Jesu (und die Notwendigkeit des Todes Jesu, als bräuchte Gott ein Opfer) ist Muslimen und – allgemein – Nichtchristen (aber auch zahlreichen Christen) ein großes Rätsel. Dieser findet aber erst seine endgültige Erfüllung im Abstieg in die Unterwelt.

Stellt man sich die Hölle als ORT vor, so kann man sich diesen Abstieg Christi leichthin als glorreichen Eroberungszug vorstellen. Nicht nur in „apokryphen Evangelien“, Schriften, die das Leben Christi beschreiben, aber nicht den Weg in die Bibel gefunden haben, nicht nur hier kommt Christus als Sieger über den Tod der Hölle einen Besuch abstatten, auch in Kunst und Literatur findet sich diese Auffassung. „Diese gesamte Tradition ist von einem Apriori beherrscht: der Abstieg Jesu ist eine Triumphfahrt eines im Grunde bereits auferstandenen, österlichen Herrn, der vorweg am Karsamstag die Unterwelt besiegt und entleert.“ (von Balthasar, Theologische Besinnung auf das Mysterium des Höllenabstiegs, in: „Hinabgestiegen in das Reich des Todes“, Freiburg, 1982, S. 90)

So denn die Hölle als ORT (vgl. vorhergehenden Beitrag, „Folterkammer Gottes“) erledigt ist, müssen wir auch von diesem Motiv der Höllenfahrt Abstand nehmen. Denkt man jedoch die Hölle als ZUSTAND, so kann sie nicht besucht werden, sondern muss durchlebt, durchlitten werden.

Dann allerdings finden wir genau das Gegenteil vom Triumphalismus früherer Vorstellungen. Statt Aktion finden wir Passivität, Leidung, kein „von Christus“, sondern „an Christus“. So sieht es auch von Balthasar: „In diese Endgültigkeit (des Todes) steigt der tote Sohn ab, keineswegs mehr handelnd, sondern vom kreuz her jeder Macht und eigener Initiative entblößt, als das rein verfügte, als der zur reinen Materie erniedrigte, restlos indifferente (Kadaver-) Gehorsame, unfähig zu jeder aktiven Solidarisierung, erst recht zu jeder ‚Predigt‘ an die Toten.“ (Pneuma und Institution, Einsiedeln, 1974, S. 408).

Der Tiefpunkt der Passion ist nicht etwa, wie es scheinen mag, der Karfreitag, an dem Jesu Tod am Kreuz gedacht wird, sondern der Karsamstag, der Tag der Höllenfahrt Christi. Am Karfreitag wird in einer Liturgiefeier noch des Todes Jesu am Kreuz gedacht: zur überlieferten Stunde seines Todes am Kreuz. Am Karsamstag, dem Tag des Grabes, fällt die Kirche ins Schweigen.

Hölle ist der Verlust aller Beziehung

Was charakterisiert die Hölle? -. Eigentlich nur ein einziges Wort: Beziehungslosigkeit. Die Seelen charakterisiert von Balthasar als „von Gott weg verlorene“ (ebd.), also als solche, die die Beziehung zu Gott – und damit auch die Beziehung zu allem anderen, insbesondere den Mitmenschen – verloren haben.

Wenn nun aber der Sünder aus sich selbst heraus Einsamkeit, absolute Einsamkeit sucht, wenn er nur sein Ich absolut setzt und aus der größten Verweigerung heraus das Du ablehnt, dann begegnet er selbst hier, in der uneinholbaren Beziehungslosigkeit doch Gott wieder, da Jesus, der am Kreuz gestorbene, sich selbst diesem Tod auslieferte. „Niemand kann […] eine solche Gottverlassenheit erleben, wie der Sohn. Das ist das tiefste Leiden, das möglich ist: wissen, erfahrungshaft, wer Gott ist, und diesen Gott (scheinbar für immer) verloren haben.“ (von Balthasar, Gott und das Leid, Freiburg, 1984, S. 8)

Und dieser Beziehungslosigkeit der Seele, der schlimmsten Perversion von Autarkie, antwortet die Kirche in der sinnenfälligsten Weise: indem sie schweigt. Der Tod am Kreuz war noch Kommunikation, Gemeinschaft, Liebestat. Die Einsamkeit der Hölle absolutes Schweigen.

Die Solidarität Jesu, die sich in diesem Leiden ausdrückt, genügt allerdings noch nicht für uns Christen, die Passion ausreichend zu charakterisieren. Ein wesentlicher weiterer Aspekt ist der Stellvertretungsgedanke, der die Grenze zwischen islamischen und christlichen Gottesbildern noch einmal scharfzeichnet. Dazu im folgenden Beitrag (Thema: Vers 2:48) mehr.

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