Gegenstroemungen – Querdenker erleben

Meinem Blogger-Kollegen Miguel Grandt durfte ich in seinem Podcast-Projekt „Gegenstroemungen – Querdenker erleben“ ein Interview geben. Hier der Link:

http://www.gegenstroemungen.com/podcast/2015/6/8/gs003-jrg-p-belden-bildungsreferent

Zum Podcast: www.gegenstroemungen.com

Ich freue mich (auch dort) über Kommentare!

Jörg

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Der Koran: die Bestätigung der Offenbarung der Juden und Christen (2:87-98)

Und Moses gaben Wir die Schrift und ließen ihm Gesandte nachfolgen. Und wir gaben Jesus, dem Sohn der Maria, die deutlichen Zeichen und stärkten ihn mit Inspiration. …“ (1:87)

Das Christentum ist aus dem Judentum heraus geboren. Jesus selbst verstand sich nicht als Begründer einer neuen Religion: er war ganz und gar Jude, stammte aus einer religiösen, ggf. pharisäischen, Familie, predigte auf der Straße, in Synagogen und sprach im Tempel. Und so verstanden sich die ersten Christen zunächst in erster Linie als jüdische Gruppierung – und wurden so auch seitens der Umwelt wahrgenommen: in römischen Quellen des ersten bis Anfang zweiten Jahrhunderts wurden die christlichen Gemeinden als jüdische Gemeinden bezeichnet.

Angesichts der Öffnung und Mission barg dieses Selbstverständnis Sprengstoff für die noch junge Gemeinde: verstand sich das Judentum doch vor allem als Volk, nicht als Religion. Und so kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den jüdischen Anhängern (Jude ist, wer eine jüdische Mutter hat.) und den aus den Völkern für Gott begeisterten Christen.

Die Kontinuität ist stark, und die Trennung zwischen Judentum und Christentum eher historisch vollzogen als theologisch vollendet.

Und in dieser Kontinuität steht eindeutig auch der Koran, wie der Beginn des Eingangsverses 2:87 zeigt. Judentum, Christentum und Islam (in der historischen Reihenfolge) verbindet – das ist trivial – der gemeinsame Glaube an den Einen und denselben Gott. Das Christentum erscheint in seinen Ursprüngen eher wie eine jüdische Konfession, denn wie eine neue Religion, und der Islam im Koran eher als die Fortführung von Judentum und Christentum, ja, wie man liest, als Neubesinnung auf die Werte der beiden (damals bereits getrennten) anderen Religionen.

Abraham. Jesus. Mohammed. - „Der Schoß Abrahams“ (l.) und


Abraham. Jesus. Mohammed.
„Der Schoß Abrahams“ (l.) und „Die Kreuzigung Jesu Christi“ (M.) von Herrad von Landsberg – Hortus Deliciarum (12. Jahrhundert). Quelle: Wikimedia Commons. Lizenz CC-BY-SA 3.0. Persische Darstellung Mohammeds vor seinen frühesten Anhängern (r.). Illustration aus Al-Birunis Kompendium Athar al-Baqiya ’an al-Qurun al-Khaliya. Das Werk befindet sich in der Sammlung der Bibliothèque Nationale in Paris (Manuscrits Arabes). Quelle: Wikipedia


Die Abgrenzung von Judentum und Christentum geschieht nicht dadurch, dass andere Glaubenswerte oder Lebensgesetze entwickelt werden. Vielmehr resultiert sie aus einer für die damalige Zeit wohl treffend erkannten Beobachtung: dass Juden und Christen nicht gemäß der Weisungen ihres Glaubens lebten.

Der Anspruch, im Bund mit Gott zu leben, hat – so wohl die Vermutung – Konsequenzen für die Treue des Einzelnen zu Gott und für das Handeln des Gläubigen. Das alles überstrahlende Gebot der Nächstenliebe der Christen ist kein geringer Anspruch. Juden wie Christen werden oft heute diesem Anspruch nicht immer gerecht. Damals wird es – vielleicht sehr drastig – ebenso gewesen sein. Und zuvor, in der Zeit der Offenbarungen des Mose und Jesu, das bezeugt die Schrift, war es ebenso.

Und so ergibt sich aus dem Blick der damaligen Zeit ein Hiatus zwischen der Vision gottergebener und liebender Menschen einerseits und der Wirklichkeit, die oft dunkler war und ist. Die Aussage ist durchgängig nicht: „Euer Glaube ist falsch!“, sondern: „Glaubt wieder und handelt danach!“.

Diese Botschaft des Koran versteht sich explizite als Bestätigung der früheren Offenbarungen Gottes: „Und als zu ihnen ein Buch von Allah kam, ihre früheren Offenbarungen zu bestätigen – zuvor hatten sie um Sieg für die Ungläubigen gefleht – also als nun zu ihnen kam, was sie bereits kannten, da leugneten sie es. Doch Allahs Fluch lastet auf den Ungläubigen.“ (2:89) Was es mit der Bitte um den Sieg für die Ungläubigen auf sich hat, weiß ich nicht; zweierlei wird jedoch deutlich: es geht um eine Abkehr vom ursprünglichen Glauben und eine Bestätigung der vorhergehenden Offenbarungen.

Besonders auffällig hier: die Abgrenzung aller, „die da glauben, auch die Juden und die Christen und die Sabäer“ (2:62) von den Ungläubigen (2:89), die es zweifelsohne auch unter Juden und Christen gibt. Ausdrücklich wird dies noch einmal in Sure 5 bestätigt: „Wenn das Volk der Schrift glauben würde und gottesfürchtig wäre, wahrlich, Wir deckten ihre Missetaten zu, und wahrlich, wir führten sie in die Gärten der Wonne“ (5:65).

Da sich der Koran nun vor allem als „Rechtleitung für die Gottesfürchtigen“ (2:2) versteht, richtet sich die Mahnung vor allem an Muslime, sich nicht in ebendieser Weise vom Glauben abzuwenden: Als Urbild des Ungläubigen, des Unheilstifters, der das Glaubensbekenntnis im Munde führt, seinen eigenen Dämonen aber im Herzen treu ist. (vgl. 2:8-16)

Und so zeigen sich die Vorwürfe, die gegen die Christen erhoben werden, als Bruch der Offenbarungen und Gebote, die Gott Ihnen in seinen Offenbarungen gegeben hat. Blicken wir zurück: Was waren die bisher formulierten Vorwürfe? – Unglaube (2:6, 2:88), Selbstbetrug (2:9), Unheil stiften (2:9), Anbetung ‚ihrer eigenen Teufel‘ (2:14), Taubheit, Stummheit, Blindheit (2:18), Lüge (2:42), Ungeduld (2:45) und Vernachlässigung des Gebets (2:45), Abkehr vom Glauben (2:54), Leugnung der Botschaft Gottes (2:61), Mord an den Propheten (2:61), Gesetzesbruch (2:61), Abkehr von Gott (2:64), Missachtung des Sabbats (2:65), Mord (2:72, 2:85)), Instrumentalisierung des Wortes Gottes (2:75), Abkehr von den Geboten Gottes (2:83), Vertreibung (2:85). All dies widerspricht dem Gesetz, das Gott in eines jeden Menschen Herz gelegt hat, es widerspricht den Geboten, die Gott im ersten Bund den Söhnen Abrahams und dem jüdischen Volk gegeben hat und widerspricht ebenso den christlichen Geboten und dem grundsätzlichen Doppelgebot der christlichen Gottes- und Nächstenliebe.

Juden, Christen und Muslime müssen sich in gleicher Weise um die Beachtung dieser Gebote bemühen, um den Ansprüchen der Offenbarung Gottes gerecht zu werden..

Der Koran entstand in einer Zeit, in der ein großes Gefälle zwischen arm und reich die Gesellschaft spaltete: deutlicher noch als der heutzutage – selbst in unserer westliche Welt – oftmals unerträgliche „gap between rich and poor“. Einzelne Juden und Christen hatten es sich vermutlich behaglich eingerichtet und nahmen ihre gesellschaftliche Verantwortung nur wenig wahr. Der Islam, sofern er sich als Reformbewegung versteht, die auf dem Juden- und Christentum basiert, fand in den Gebräuchen der Zeit den Hintergrund, vor dem er – sich abhebend – definierte. Nur so können – angesichts der erwähnten Verse – die Passagen, die auf Fehlentwicklungen innerhalb des Juden- und Christentums hinweisen, interpretiert werden.

Urchristliche Gemeinden kannten kein „reich“ und „arm“; vielmehr realisierten sie ihre Lebensweise – ebenso wie die Kibbuzim in Israel – als Gütergemeinschaft – heute würde man sagen – nach kommunistischem Vorbild. Diese exteme Lebensgemeinschaft fordern weder Bibel noch Koran zwingend. Die Sorge um die Armen aber sehr wohl. Um diese wieder zum Ideal zu erheben und zum Auftrag für alle Gläubigen – das ist Teil des Selbstverständnisses der koranischen Gemeinde (hierzu aber an anderer Stelle mehr): „Allah lässt den Zins dahinschwinden; verzinsen wird er aber die Almosen“. (2:276)

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Der Koran im Licht der „Eröffnenden“ Sure (1:1-7)

Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen.
Lob sei Allah, dem Weltenherrn.
Dem Erbarmer, dem Barmherzigen.
Dem Herrscher am Tage des Gerichts.
Dir dienen wir und zu Dir rufen wir um Hilfe.
Leite uns den rechten Pfad.
Den Pfad derer, denen Du gnädig bist, nicht derer, denen Du zürnst, und nicht der Irrenden.

(Sure 1)

An dieser Stelle geht es also, wie im letzten Beitrag gesagt, um einen Schlüssel zur Lektüre des Koran, und der soll die erste Sure sein.

Die erste Sure lese ich als Gebet. In der Grundform des Gebets kommen grundsätzlich vier Haltungen zum Ausdruck, die die Bereiche ansprechen, welche unseren Glauben ausmachen.

1. Gott zuwenden.

Wir stellen uns bewusst ins Gespräch mit Gott. Christliche Gebete werden in der Regel eingeleitet durch eine (oft sehr kurze) Formel, („Gott.“ „Vater unser.“ oder „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.“) Damit öffnen wir uns und treten aus all den Themen, die wir aus dem Alltag mitbringen, in die Wirklichkeit Gottes hinein.

Die erste Sure beginnt (wie nahezu alle anderen Suren) mit der Anrufung „Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen“. Das ist der große Anspruch der Muslime. Nun sprechen wir nicht mehr in unserem Namen, sondern stellen uns unter den Namen Gottes. Ich kann das nur so lesen: Von nun an gelten nicht mehr „meine“ Themen. Unsere Anliegen treten in den Hintergrund zugunsten des Willen Gottes, in dessen Namen ich beten und handeln möchte. Wie im Christentum lese ich diese Stelle als Verpflichtung, dass nicht mein, sondern Gottes Wort aus mir heraus im Gebet sprechen soll.

2. Kommemoration

Daraufhin nehmen christliche Gebete das Heilshandeln Gottes in der Welt in den Blick. Entweder wird an die biblische Überlieferung angeknüpft („Du hast Deinem Volk den Weg durch die Wüste gewiesen“), oder aber Gottes Handeln an uns („Deine Gegenwart umhüllt und durchdringt uns wie die Luft, die wir atmen, ohne die wir nicht leben können.“). Wir bedenken dabei, dass wir stets unter dem Schutz Gottes stehen und immer mit Gott rechnen können.

Auch wenn dies so ausdrücklich in der Fatiha nicht geschieht, kommt dieser Grundgedanke aber dennoch deutlichst zum Ausdruck: Gott wird als „Weltenherr“ angerufen. Dieses Wort bedeutet für mich nur eines: Gott handelt in der Welt. Gott lenkt und führt seine Schöpfung. Nach seinem Gesetz. „Wie sich doch alles fügt“, formuliert Augustinus die Tatsache, dass alles gemäß des Plans Gottes geschieht. „Weltenherr“. Dies bringt es auf den Punkt.

3. Lobpreis und Dank

Die Präsenz Gottes verdient Anerkennung. Es steht uns an, Gott zu loben. „Du bist unsagbar größer, als wir Menschen begreifen, du wohnst im unzugänglichen Licht, und doch bist du uns nahe.“ Bei unserer Neigung, selbst im Zentrum des Lobs zu stehen, ist Demut unser Ansporn. Demut und Selbstbewusstsein gehen bei dem sehr gut zusammen, der loben kann. Ehrlich gemeint. Und bewusst ausgedrückt. (Wer geübt ist im Lob Gottes, dem fällt es übrigens auch nicht schwer, ebenso ehrlich seine Mitmenschen, den Partner, die Kinder, Kollegen und Freunde wertzuschätzen.)

„Lob sei Gott, dem Weltenherrscher, dem Erbarmer, dem Barmherzigen, dem Herrscher am Tage des Gerichts.“ Ein solcher Lobpreis schließt im Übrigen immer auch ein Moment des Dankes mit ein.

4. Bitte

Abschließend beendet in der Regel eine Bitte das Gebet. „Gib, dass wir heute mit Ehrfurcht vor dir stehen und froh werden in deiner Nähe.“ Diese Bitte kann eine Bitte Bitte um Beistand sein; vor allem geht es aber um den persönlichen Weg mit Gott und den Mitmenschen.
„Leite uns den rechten Pfad.
Den Pfad derer, denen Du gnädig bist, nicht derer, denen Du zürnst, und nicht der Irrenden.“

Leitlinie für die Koranlektüre

Wie auch ein Christ versteht sich der Mensch, der die Fatiha betet, als jemand,
(1.) der sich Gott zuwendet,
(2.) der Gottes und dem Handeln Gottes in der Geschichte gedenkt,
(3.) der Gott preist und ihm dankt
(4.) und Gott bittet, ihn rechtzuleiten.

Dies beschreibt aber nicht nur die Grundhaltung des Gläubigen. Es war darüber hinaus grundsätzlich mein Schlüssel zum Verständnis des Koran. Der Koran, im Lichte der Fatiha gelesen, ist demnach

(1.) Brücke zwischen Gott und Mensch
Wie kann der begrenzte Mensch das unendliche Wesen Gottes zu begreifen versuchen? – Bilder und Vorstellungen über Gott offenbart der Koran.
(2.) Erinnerung an die Wege Gottes mit den Menschen
Gott handelt geschichtlich. Er schickt Engel, Propheten und lenkt die Geschicke der Welt. Der Koran erzählt die Geschichte der Offenbarung Gottes.
(3.) Zeichen der uneinholbaren Größe Gottes
Der Mensch ist dementsprechend darauf verwiesen, Gott als Ursprung und Ziel seines Lebens zu verstehen, …
(4.) Ansporn und Anleitung zum gelungenen Leben.
… und an seinen Geboten auszurichten.

Mit der Fatiha als Richtschnur, ist das Thema des Koran der Weg des Menschen mit Gott.

Herrschaft.
Der Koran ist keine Anleitung für die Installation eines Herrschaftssystems. Herrschaft beschreibt vielmehr das Verhältnis Gottes zu seinen Geschöpfen.

Gesetz.
Der Koran institutionalisiert kein gesellschaftliches Rechtssystems. Gesetze sind die Gesetze Gottes, die Er uns ins Herz schreibt.

Kampf.
Der Koran ist keine Anleitung zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Der Kampf ist vielmehr der alltägliche Kampf, den wir (oft genug auch gegen unseren egoistischen Willen) zu führen haben, um auf Gottes Wegen zu gehen.

Meine Erfahrung mit dieser Lesart

Zusammenfassend lässt sich festhalten: ich habe den Koran gelesen, indem ich
– nur den Text des Korans selber zur Interpretation heranziehe, wo es eben geht,
– auf eine historisch-kritische Methodik verzichte,
– dem Gottesbild von Gott als dem Erbarmer, dem Barmherzigen Vorrang vor anderen gebe und
– die Fatiha als Schlüssel einer Interpretation zu Grunde lege.
(Vgl. den vorangegangenenen Beitrag http://www.christ-koran.de/richtlinien-des-christen-bei-der-lektuere-des-korans-12-3/.)

Es zeigt sich, dass diese Lesart durchgängig schlüssig auf den Koran angewendet werden kann. Vieles, was im Koran im Dunkeln liegt, erschließt sich stimmig, wenn man ihn unter diesen Vorbehalten liest.

Es zeigt sich, dass an vielen Stellen des Koran eine solche Auslegung explizite gefordert wird. An einigen Stellen erklärt der Koran selbst, wie diese zu verstehen sind: nämlich diesem Ansatz entsprechend.

Es zeigt sich, dass oft andere Interpretationen – die in der Schrift Aufrufe zu Hass und Kampf sehen – dem Kontext der Schrift selbst nicht entsprechen und über den ganzen Koran nicht durchzuhalten sind.

Und hier erschließt sich mir das, was Muslime „das Wunder des Koran“ nennen: ein Werk, das in sich geschlossen das ist, was es sein will: „Dieses Buch, daran besteht kein Zweifel, ist eine Rechtleitung für die Gottesfürchtigen.“ (Sure 2:2)

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Richtlinien des Christen bei der Lektüre des Koran (1:2-3)

Lob sei Allah … Dem Erbarmer, dem Barmherzigen. (1:2-3)

Bei der Lektüre des Korans ergibt sich die Notwendigkeit der Interpretation mit dem Lesen. Ich bin überzeugt, dass Koranlektüre stets auch Interpretationsarbeit bedeutet. Ich glaube nicht, dass man überhaupt in der Lage ist, dieses Werk schlechthin zu lesen: Diese Schrift spricht unmittelbar das Herz eines jeden, der es liest, an. Und findet im Herzen Widerhall. Diese Antwort des Herzens ist letztendlich ja bereits Interpretation.

Zugespitzt kann man vielleicht sagen: niemand kann den Koran „an sich“ lesen; vielmehr liest jeder den Koran „für sich“. Wenn ich als Christ den Koran lese, muss ich mir demnach zunächst Gedanken über den Ansatz meines Verstehens machen, um nicht der Versuchung zu erliegen, ein vorgefärbtes Koranbild auf die Schrift selbst zu übertragen.

Für mich gelten da im wesentlichen vier Richtlinien.

1. Grundlage der Interpretation des Koran ist der Koran.

So einfach das klingt: es ist nicht trivial. Die Koraninterpretation hat im Islam eine große Tradition und wird – ebenso wie die Exegese biblischer Schriften im Christentum – wohl als Kernfach des theologischen Studiums gepflegt. Insofern gibt es zahlreiche – und zum Teil einander widersprechende – Ansätze. Bewusst verzichte ich zunächst darauf, Hintergründe über die Tradition oder zum Beispiel über Hadithe zu Rate zu ziehen. Wenn der Koran im Selbstverständnis des Islam Gottes wortwörtliches Wort ist, dann muss er den Anspruch haben, unmittelbar den einzelnen anzusprechen.

Dies läuft zunächst dem dialogischen Prinzip der Religion zuwider: die (religiöse) Kommunikation geschieht in der Regel von Mensch zu Mensch. Christen „erklären“ einander und Nichtchristen das Christentum, Muslime „erklären“ einander und Nichtmuslimen den Islam. Insofern ist es vielleicht ein Verlust, auf die Zeugnisse von Muslimen zunächst weitgehend zu verzichten. Auch gelingt dies nur zum Teil: denn natürlich spielen Gespräche mit Muslimen immer mit eine Rolle bei meiner persönlichen Lesart.

Im Zweifel jedenfalls – wenn offen ist, wie ein bestimmter Vers zu verstehen ist – soll der Text des Koran selbst Aufschluss geben. Hinweise aus der Schrift haben stets Priorität vor allem Anderen.

2. Ich verzichte auf einen historisch-kritischen Ansatz.

Wir christlichen Theologen interpretieren freilich auch unsere Heilige Schrift. Wir haben dazu einen methodischen Strauß an Untersuchungen kultiviert, mit dem wir den Text intensiv analysieren. So können wir den menschlichen Anteil der Schrift ziemlich genau bestimmen: wer die Autoren waren, welche politischen, gesellschaftlichen oder philosophischen Ansätze sie vertraten. Und wir erkennen ein Stück weit, inwiefern Gott sich in den Schriften offenbart. Kurz: wir analysieren die Bibel als „Gotteswort in Menschenwort“.

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Der sogenannte Textkritische Apparat, eine sehr verkürzte Auflistung unterschiedlicher Versionen der einzelnen Schriftenfunde.
Foto: J. B. aus: Nestle, Aland (ed.), Das Neue Testament: Griechisch und Deutsch. Stuttgart: 26. Aufl., 1984.


Darauf muss ich verzichten aus zwei Gründen:
1. Ich liefe Gefahr, den Koran zu vereinnahmen. Wenn im Islam bei vielen von einer wortwörtlichen Überlieferung des Koran ausgegangen wird, würde ich diesen Ansatz nicht ernst nehmen. Mir als Christ steht es nicht zu, diese christliche Methodik auf den Koran anzuwenden. Zur Zeit nehme ich innerhalb des Islam zur Frage der Methodik eine Debatte wahr. Ich persönlich hielte ich es für spannend, wenn die historisch-kritische Methode auch auf den Koran ausgeweitet würde; ich muss mir das hier allerdings versagen.
2. Der historisch-kritische Ansatz arbeitet intensivst mit dem biblischen Originaltext in griechischer, hebräischer, und (in wenigen Perikopen) aramäischer Sprache. Ich bin des Arabischen nicht mächtig. Deshalb versuche ich erst gar nicht, entsprechende Impulse herauszuarbeiten.

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Der hebräische Text der Bibel.
Foto: J. B. aus: Kittel, Rudolf (ed.), Biblia Hebraica [Stuttgartensia]. Stuttgart: 14. ed., 2002.


3. Gottesbild

Zum Gottesbild habe ich bereits viel in den Beiträgen geschrieben. Unter den neunundneunzig Namen Gottes haben zwei eine besondere Würde, weil sie in der Fatiha (Sure 1, dem Grundgebet der Muslime) an erster Stelle und wiederholt Gott bezeichnen. Der Erbarmer. Der Barmherzige.

Dieses Gottesbild deckt sich in höchstem Maße mit der Vorstellung des Gottes der Liebe im Christentum. Deshalb orientiert sich die Interpretation dort, wo von Gott die Rede ist, an dieser Vorstellung.

4. Al-Fatiha – Sure 1 – „Die Eröffnende“

Sie eröffnet nicht nur als erstgesetzte Sure den Koran, sie eröffnet auch das tägliche Gebet der Muslime. Ich unterstelle meine Interpretation der ersten Sure. Methodisch gehe ich davon aus, dass das, was in Sure 1 der Betende aussagt, der Kern des islamischen Glaubens schlechthin sei: das Ziel sämtlicher Glaubensvollzüge.

Sobald es also um den Weg des Menschen mit Gott geht, und eine Deutung unsicher ist, gewinnt sie dann an Plausibilität, wenn sie übereinkommt mit dieser Ersten Sure. Im letzten Sommer bereits habe ich als folgenden Beitrag erste Impulse zur ersten Sure angekündigt.

Im Folgenden will ich ebendies nun auch tun: in nicht ferner Zukunft folgt als nächster Beitrag eine Annäherung an die Fatiha.

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„Stille Nacht – Heilige Nacht“ – Die Flüchtlingsfamilie der Weihnachtslieder

Stille Nacht, heilige Nacht. Die wohlvertrauten Weihnachtslieder, die wir in dieser Zeit singen, gehören mit zum Fest, das wir als „Fest der Liebe“ feiern. Und so freuen wir uns über die stillen harmonischen Tage der Zeit „zwischen den Jahren“ bei Kerzenschein und gutem Essen.

Die erste Weihnacht lag fern jener Krippenromantik unter dem Tannenbaum; heute wäre es vielleicht eine Bauwagenkolonie. Betlehem wäre Wilhelmsburg, vor den Toren der großen Stadt, Jerusalem. Ein guter Mensch hat ein offenes Herz gezeigt: er hat zumindest seinen Stall für die junge Familie bereitgestellt, damit Jesus nicht auf offenem Feld – unter einem Brückenpfeiler – zur Welt kommen musste.

Betlehem ist aber auch der Beginn einer – man könnte sagen politischen – Verfolgung und Flucht. Im weiteren Verlauf wird es Maria und Josef mit ihrem Kind bis nach Ägypten verschlagen, bis sie letztendlich dann wieder nach Hause, ins heimatliche Nazareth, gelangen. Dort in Ägypten sind sie angewiesen auf Menschen mit offenen Herzen und offenen Händen.

Die Heilige Familie ist eine Flüchtlingsfamilie, und sie erinnert uns an die vielen Flüchtlingsfamilien aus Syrien und andern Ländern. Wenn es neben der Menschwerdung Gottes noch eine zweite Botschaft hinter der Weihnachtsgeschichte gibt, so mag es die sein: habt ein offenes Herz und offene Hände für Flüchtlinge!

Jesus wird später immer das Wohl der Armen, Gefangenen, Gedemütigten im Blick haben. Seine zentrale Botschaft des Gottesreichs ist stets mit dem Anspruch, für die Ausgegrenzten Sorge zu tragen, verbunden. „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“, wird er später sagen. Menschendienst ist Gottesdienst. Deshalb gilt der größte Respekt den Institutionen und auch Einzelpersonen, die großmütig Flüchtlinge bei sich in diesen Tagen aufnehmen.

Die schlimmste Perversion von Weihnachtsliedern ist, sie in Kontexten der Ausgrenzung zu instrumentalisieren. Es ist erschreckend, dass die Leute, die sich „PEGIDA“ nennen, Weihnachtslieder singen, um damit schlimmste Hetze zu propagieren. Als wäre ihr Anliegen ein „christliches“. Das genaue Gegenteil ist der Fall.

Ich kann nicht jedem Anhänger der Bewegung unterstellen, Nazi zu sein. Mit Wahrscheinlichkeit ist auch ein großer Anteil von schlecht informierten Leuten – wie heißt es so schön ? – „aus der bürgerlichen Mitte“ dabei, die sich von der Extremrechten einbinden lassen. Schlimm ist jedoch, wenn sich Privatmeinungen einiger „Christen“ mit religiösen Motiven vermischen.

Ausgrenzung – insbesondere unter der Motivation des Hasses – ist nicht nur ein nicht-christliches Phänomen, sie steht vielmehr dem zentralen Motiv der christlichen Nächstenliebe unvereinbar gegenüber. Wer sich bewusst dem anschließt, steht damit außerhalb des Christentums und kann sich allenfalls noch institutionell „Christ“ nennen.

PEGIDA steht für „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands“.

Patriotismus meint in diesem Sinne nicht schlicht die Liebe zur Heimat. Patriotismus bedeutet in diesem Sinne die vermeintliche „Sendung“, die Heimat „rein“ zu halten von nichtheimatlichen Einflüssen.
„Islamisierung“ ist ein Schlachtbegriff, der diesen Einflüssen einen Namen zu geben scheint. Dadurch, dass es für ein Phänomen einen Namen gibt, wird suggeriert, dass es dieses Phänomen als reales Problem gibt. Wer sich ein wenig informiert – es genügt da eine dreiviertelstündige Recherche im Internet – wird feststellen, dass dem nicht so ist. Offensiv missionierende Islamisten vertreten völlig eindeutig nicht den Islam in Deutschland. Und es ist nichts als Hetze, dies zu suggerieren: angesichts der Lebenswirklichkeit nahezu aller Muslime in Deutschland, die ganz bewusst einen demokratischen Staat als Heimat gewählt haben und unsere Demokratie wertschätzen und stützen.
Und das „Abendland“? Wo stand noch einmal die Krippe der Weihnachtslieder? Wo hat Jesus gelebt und gewirkt? Soll der Okzident wirklich vor orientalischen Einflüssen <sic>durch Weihnachtslieder</sic> geschützt werden? Was soll man dem erwidern, der polemisch fragt, ob bei PEGIDA mithin nicht auch ganz schlichte Dummheit eine Rolle spielt?

Für uns Christen ist Weihnachten jedenfalls ein Anspruch, der sich nicht besser zusammenfassen lässt, als so: (Mt 25, 31-46)

Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit, und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken.

Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.

Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen, oder nackt und haben dich gekleidet? Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?

Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.

Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht.

Dann werden sie ihm auch antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient?

Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan.

Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.

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Das ist nicht katholisch!

Liebe Mitlesenden,

selten äußere ich mich zu aktuellen Themen im Netz; hier allerdings ist mir eine Klarstellung wichtig.

Eine Internet-Community wirbt unter einem Schlagbegriff für ihre Veranstaltungen, der ausgesprochen unangemessen ist. „Deus vult“ war der Schlachtruf christlicher Kreuzfahrer im Mittelalter: Gott wolle diesen Krieg. Unter diesem Schlachtruf wurde übel gemordet, wurden Menschen ihrer Heimat vertrieben, wurden Kulturen vernichtet. „Deus vult“ steht für alles Üble, was die Kirche im Namen Gottes anderen Menschen angetan hat.

Ebenso wie dieser Schlachtruf falsch war (obgleich von einem Papst verkündet), so ist auch diese Internet-Homepage weder gut, noch wahr, noch recht, noch katholisch. Diese Seite steht außerhalb unseres kirchlichen Kontextes: „Unruhestifter“ gibt es auch unter solchen, die formal sich Christen nennen, die die Botschaft Jesu aber nicht im Ansatz verstanden haben.

Die Seite ist – entgegen eigener Bezeichnung – nicht „katholisch“. Und die „Nachrichten“ sind keine Nachrichten, sondern Hetze.

Jörg

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„… welche die Schrift selbst schreiben“ (2:75-86)

Wünscht Ihr, dass sie euch Glauben schenken? Aber ein Teil von ihnen hat Allahs Wort vernommen und verstanden und hernach wissentlich verdreht. Wenn sie den Gläubigen begegnen, so behaupten sie: ‚Wir glauben!‘ Wenn sie jedoch allein unter sich sind, sagen sie: ‚Wollt Ihr ihnen erzählen, was Allah euch offenbarte, damit sie es eines Tages vor eurem Herrn im Streit gegen euch verwenden? Seid ihr von Sinnen?‘ Wissen sie nicht, dass Allah weiß, was sie verheimlichen und was sie offen tun? Unter ihnen gibt es auch Ungelehrte, welche die Schrift nicht kennen, sondern nur Wunschvorstellungen und Vermutungen haben. Aber wehe jenen, welche die Schrift selbst schreiben, dann aber sagen: ‚Dies ist von Allah!‘ und das für einen winzigen Preis. Wehe ihnen dessentwegen, was ihre Hände geschrieben haben und wehe ihnen wegen ihres Gewinns!“ (2:75-79)

Zunächst steht hier vordergründig der Vorwurf im Raum, die Offenbarung, die Schrift der Leute des Buches, sei verfälscht worden. Ist aber die Verfälschung des Wortes Gottes tatsächlich die Stoßrichtung, in die diese Verse zielen? Ein genauer Blick auf die Verse zeigt, dass das nicht der Fall sein kann.

Vordergründig geht es um die Zeit des Mose: die Verse schließen direkt an die Begebenheit mit der Kuh (Verhärtete Herzen und Steine …) an. Bis Vers 74 sind mit „sie“ das Volk, zu dem Mose sprach (Vers 67) gemeint. Und da die Tora dem Mose zugeschrieben wurde – sie sind uns ja auch als die „5 Bücher des Mose“ bekannt – würde eine solche Interpretation irgendwie passen. Und vielleicht mag dieser Gedanke auch eine Rolle spielen. Darauf bin ich an anderer Stelle schon umfassend eingegangen (Gottes Wort).

Dass diese plagiative Verfälschung des Wortes Gottes aber nicht im Zentrum der Verse steht, zeigen zwei Indizien deutlich.

Zunächst einmal findet in Vers 75 ein „Adressatenwechsel“ statt: „Wollt ihr, dass sie euch glauben schenken? Aber ein Teil von ihnen hat Allahs Wort verstanden und hernach wissentlich verdreht.“ (2:75)

Nicht die Zeitgenossen des Mose sind angesprochen, sondern Menschen, die der Botschaft der Gläubigen folgen, also Zeitgenossen des Propheten und die späteren Generationen. Die Schriften der „Leute des Buchs“ sind längst verfasst. Völlig eindeutig muss eine andere Art der Verfälschung des Wortes Gottes gemeint sein.

Der zweite Hinweis: in den auf Vers 75 folgenden Versen geht es nur in den ersten Zeilen um das Thema der Verfälschung der Schrift. In den folgenden Versen geht es um die Sünde allgemein, den Erwerb übler Dinge oder Eigenschaften, Unglaube, Gotteslästerung, Mord, Raub, Vertreibung Gefangener.

Die Gegenfolie dazu ist die Heilige Schrift selbst: die Versprechen des Volkes, die es nicht und nicht und nicht einhält. Darum wird wiederholt das Versprechen der Gläubigen (Juden) memoriert. Und der Anspruch mit der Fehlbarkeit der Menschen verglichen. Es geht um die durch Gottes Wort verbürgten Grundgebote des Glaubens, wie sie in den 10 Gebote, die Moses dem Volk offenbart, expliziert sind. Und um die Grundhaltung, die letztlich im Gebot der Liebe mündet: der Liebe zu Gott und der Liebe zu den Menschen.

Gott selbst offenbart die Grundgebote des Glaubens: Mose empfängt die zehn Gebote, Mosaik im Katharinenkloster (Sinai), 6. Jahrhundert


Gott selbst offenbart die Grundgebote des Glaubens:
Mose empfängt die zehn Gebote
Mosaik im Katharinenkloster (Sinai), 6. Jahrhundert
Foto: Public Domain; Quelle: Wikipedia, www.icon-art.info/…


Und damit wird deutlich, welches der Vorwurf dieser Verse ist: nicht die Schrift ist falsch, sondern diese Schrift ‚hernach wissentlich zu verdrehen‘ (2:75), durch ‚ihre Hände‘ zu schreiben (2:79). Wie kann man sich das vorstellen?

Die Heilige Schrift kann nur allzu leicht missbraucht werden, um von ihrer eigentlichen Botschaft abzulenken. Will ich beispielsweise aggressives kriegerisches Verhalten decken, so gelingt mir das gut mit der Bibel. Passende Perikopen finde ich. Und wenn ich dann die zentralen Grundaussagen, die auf nur wenigen Seiten kompakt zusammengefasst sind, ausblende oder „weich“ interpretiere, finde ich Rechtfertigung für böse Übeltaten. Genau das ist aber ein „Umschreiben“, Verfälschen der Schrift.

Gottes Wort für die eigenen Untaten zu instrumentalisieren: das ist das Vorgehen der Unruhestifter. Wieder begegnet uns der Typus des Menschen, der „Allah“ im Munde und seine eigenen Dämonen im Herzen führt. Zu Beginn der Sure als Inbegriff des Ungläubigen genannt, nun tritt er wieder in Erscheinung. Versteckt er sich zu Beginn der Sure unter den Muslimen, so versteckt er sich hier nun unter den jüdischen Gläubigen (die in diesem Fall gegebenenfalls auch für die Christen und Sabäer stehen).

Das Entscheidende: es ist im Text selbst explizite bezeugt, dass es hier nicht darum geht, die Schrift als solche als verfälscht darzustellen. Vielmehr werden die Verschleierungsmechanismen benannt und verurteilt: „Wenn sie den Gläubigen begegnen, so behaupten sie: ‚Wir glauben!‘ Wenn sie jedoch allein unter sich sind, sagen sie: ‚Wollt Ihr ihnen erzählen, was Allah euch offenbarte, damit sie es eines Tages vor Eurem Herrn im Streit gegen euch verwenden? Seid ihr von Sinnen?‘“. (2:76) Nicht die Schriften an sich, sondern eine falsche Predigt der Schriften wird verurteilt.

Man muss auch den Kontext dieser Zeilen beachten: es geht in dieser zweiten Sure um das Verhältnis zwischen den Gläubigen der drei Religionen: um Offenbarung, „Rechtleitung“ (ethische Aspekte) und das Verhältnis der Heiligen Schriften zueinander. Darauf komme ich noch in einem späteren Beitrag zu sprechen. An dieser Stelle ist aber dies festzuhalten:

Es ist eine Erfahrung, die viele wohl machen, dass zahlreiche Menschen oft genug ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden, unter den eigenen Freunden, Landsleuten und im Kontext der eigenen Religion. Aus Fehlentwicklungen zu lernen ist eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen des zwischenmenschlichen Miteinanders schlechthin. In diesem Sinne ist es absolut legitim und hilfreich, auch fremde Gruppen in den Blick zu nehmen. Fehlentwicklungen auch hier dürfen und sollten benannt werden, um, neben einem Programm für richtiges Verhalten, auch die Gefahren und Fallstricke menschlichen Handelns zu kennen. Es geht nicht darum, andere herabzusetzen. Vielmehr geht es darum, wachsam zu sein, wenn Entwicklungen in den eigenen Reihen in die falsche Richtung gehen: als „Rechtleitung für die Gläubigen“ (2:1), als ‚warnendes Beispiel für die Mit- und Nachwelt‘ und ‚Lehre für die Gottesfürchtigen‘ (2:66). Die Kritik zielt also in ihrem gesamten Ansatz nach innen und nicht nach außen. Thema ist der Weg des Gläubigen mit Gott, wie es programmatisch die Fatiha vorgibt.

Vor diesem Hintergrund kann ich im nächsten Beitrag nun eine erste kleine Annäherung an das zentrale Gebet des Islam, al-Fatiha, Sure 1, wagen.

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Der gemeinsame Glaube an den Einen Gott (3)

Siehe, die da glauben, auch die Juden und die Christen und die Sabäer – wer immer an Allah glaubt und den Jüngsten Tag und das Rechte tut, die haben ihren Lohn bei ihrem Herrn. Keine Furcht kommt über sie und sie werden nicht traurig sein.“ (2:62)

3. Missionierung

Die Gottesbegegnung jedes Menschen hat stets biografische Züge. Muslimen wie Christen ist es ein Anliegen, den Menschen, denen sie begegnen, von Gott und von ihrem persönlichen Weg mit Gott zu erzählen. Das ist richtig, gut und wichtig: so trägt Gott selbst seine Botschaft in die Welt.

Geht man jedoch davon aus, dass Vollendung nur für die kleine Gruppe der Anhänger der eigenen Religion möglich ist, so läuft man Gefahr, dass die Rede von Gott eine gefährliche Eigendynamik entwickelt.

Am Anfang steht da eine ernste Sorge. Diese gilt den Menschen, die es für den rechten Glauben zu gewinnen gilt. Wenn man als Christ davon ausgeht, dass man, um das Heil erlangen zu können getauft sein muss, dann fühlt man sich der privilegierten Gruppe der ca. 2, 3 Milliarden Geretteten zugehörig. Als wohl wichtigste Aufgabe stellt es sich denjenigen dar, die übrigen 4, 9 Milliarden „Heiden“ für das Himmelreich zu gewinnen. Wer 1000 Menschen tauft ist zehnmal so erfolgreich wie der, der nur 100 Menschen tauft. Und wen man nicht erreicht, der ist für die Erlösung verloren.

Der große Missionar Franz Xaver gründete in Ostasien zahlreiche Gemeinden und begeisterte die Menschen von Gott. Er tat dies mit Klugheit, Offenheit, und man hat fast den Eindruck, er hörte den Menschen mehr zu, als dass er kluge Predigten hielt. Aber je mehr Menschen er erreichte: er litt Qualen um jeden, den er nicht erreichen konnte und rieb sich bisweilen persönlich bis an alle Grenzen auf, um den Menschen Gott nahezubringen. Davon zeugen zahlreiche Briefe, die in Ausschnitten auch im Internet publiziert sind.

So lobenswert der Ansatz, andere von Gott zu begeistern, ist, so liegt doch ein grundlegend störendes Moment in dieser Praxis.

Das Heil des Menschen wird als ein zukünftiger Lohn für die Gottesfürchtigen gesehen, nicht als bereits im Leben angebrochene Wirklichkeit. Das Gottesreich wird also in eine Zukunft nach dem Tode verschoben. An die Stelle der Freude an der guten Botschaft Gottes tritt eine andere Emotion: die (gegenüber den zu Bekehrenden durchaus empathische) Furcht vor deren Verdammnis. An die Stelle des Dialogs der Monolog, die Predigt. Eine solche Missionierung läuft immer Gefahr, aggressiv, überwältigend zu sein. Andersgläubige erscheinen in einem schlechten Licht: ihnen wird unterstellt, sie führen andere Menschen von Gott weg. Und so seien sie Feinde Gottes, Feinde der Menschen. Fürchterliche Ereignisse wie Kreuzzüge, Religionskriege und Hexenverbrennungen gründen letztendlich in ebendiesem Irrtum.  Und für den Missionierenden selbst tritt an die Stelle der eigenen Gottsuche die Täuschung, Gott bereits gefunden zu haben.

4. Exklusive Interpretation der Heilsfrage

Eines scheint weiterhin bei diesem Ansatz gebrochen: das Vertrauen in die Liebe Gottes. Das Heilshandeln Gottes dient allen Menschen. Der alte, in meiner Kirche immer noch verbindliche Glaubenssatz, dass „niemand außerhalb der katholischen Kirche (…) des ewigen Lebens teilhaftig wird, vielmehr dem ewigen Feuer verfällt, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist“ (Neuner/Roos, Der Glaube in den Urkunden der Lehrverkündigung, 4. Aufl. 1954, S. 213), kann nicht wortwörtlich ausgelegt werden. Diese „exklusive“, „ausschließende“ Auslegung jedoch war im 16. Jahrhundert zu Franz Xavers Zeiten der Fall.

5. Inklusive Interpretation

Heutige Theologen vertreten Vorstellungen, die von „konzentrischen Kreisen“ ausgehen: die Katholiken stehen damit im inneren Kreis der „Kirche“, die auf die Apostel zurückgeht, in einem weiteren Kreis dann die getauften nicht-katholischen Christen, dann weiter außen die Gottsuchenden aus Islam und Judentum, die an den Einen Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde glauben, in einem weiteren Kreis die Gottsuchenden der anderen Religionen, dann in weiteren Kreisen die Atheisten, die Gottes Gebote als moralisches Gesetz achten und so weiter. Der Begriff der Kirche wird also als eine Art erweiterter Ökumene (Ummah) verstanden, der die Menschen der Welt entsprechend ihrer Berufung angehören. In einem solchen Ansatz wird der Glaubenssatz nicht bestritten, aber „inklusiv“, „einschließend“ interpretiert. Er befreit von der Furcht und dem Zwang, alle „armen Seelen“ retten zu müssen und eröffnet Wege zu wirklichem Austausch und Dialog. Eine Schwachstelle hat der inklusiver Ansatz aber: er vereinnahmt die Gläubigen anderer Religionen, macht sie zu (so ein weiterer Schlagbegriff) „anonymen Christen“.

Zumindest aber unterliegt er nicht dem offensichtlichen Irrtum der traditionellen „exklusiven“ Interpretation, Menschen aufgrund einer „falschen“ Religionsausübung die Vollendung zu verwehren.

6. Pluralistische Interpretation

Es gibt noch einen dritten, sehr sympathischen, Ansatz, den „pluralistischen“. Hier wird ganz schlicht jeder Religion dieselbe Wertigkeit eingeräumt: alle Religionen und auch die ethischen Werten verpflichteten Philosophien werden als gleichwertige Wege zur Vollendung interpretiert. Diese Vorstellung hat zunächst einigen Charme, löst auch die Aporien der anderen Ansätze durchaus, wird jedoch dem Wahrheitsanspruch der monotheistischen Religionen nicht gerecht.

7.  „Gott ist größer“: die Lösung des theologischen Problems im Koran

Für mich als westlichen Theologen erschließt der Koran nun die Lösung für dieses theologische Problem. Sure 2 zeigt: es ist überhaupt nicht wichtig, zu entscheiden, ob man nun in-, exklusiv- oder pluralistisch die Heilsfrage angeht. Es ist viel einfacher: glaube an Gott, suche Gott, und du wirst deinen Lohn beim Herrn haben. Ob du nun in der Religion des Islam, des Juden- oder Christentums oder als Sabäer ein Gottergebener (Muslim) bist: keine Furcht kommt über dich . Wohin dich Deine Suche nach Gott auch führt: Du wirst nicht traurig sein.

Mit anderen Worten: die Frage nach Gott (Theo-logie) wird unabhängig von der Frage nach dem Heil (Soterio-logie) behandelt.

Einfacher und klarer lässt sich der Widerspruch zwischen den Ansätzen nicht auflösen: ohne den Großteil der Menschheit der Verdammnis preisgeben zu müssen (exklusivistischer Ansatz), ohne die anderen Religionen zu vereinnahmen (inklusivistische Interpretation), ohne ein schlichtes Nebeneinander von gleichwertigen Religionen konstatieren und damit den Anspruch der eigenen Religion zugunsten einer großen Beliebigkeit aufgeben zu müssen (Pluralismus), löst sich das theologische Problem der Vielfalt der Religionen in der altbekannten Erkenntnis: „Allahu akbar“, „Gott ist größer“, größer, als dass Er sich in unsere Denkmuster pressen ließe, größer, als dass Seine Gerechtigkeit Seiner Barmherzigkeit zuwiderlaufe.

Für uns Christen realisiert sich das zentrale Heilswirken Gottes in einer historischen Person: Jesus, von dem wir glauben, dass er den Bruch zwischen Gott und dem Menschen ein für alle mal überwunden hat. Er hat das Heil bewirkt, für alle Menschen bewirkt, und darin hat der (erst seit dem 15. Jahrhundert verbindliche) Lehrsatz seine Wahrheit: die Katholische Kirche sucht den Einen Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, der sich Menschen offenbart und der allen Menschen sein Gesetz ins Herz geschrieben hat. Jenseits dieses Gottes gibt es kein Heil. Dass aber hier religiöse oder gar konfessionelle Grenzen aufgebaut sind, ist allein schon deshalb nicht denkbar, da Jesus selbst nicht etwa Christ, sondern Jude war. (Die Kirche gründete sich zum Pfingstereignis, also nach Christi Tod, Auferstehung und Himmelfahrt.)

Noch am Kreuz verheißt Jesus einem der beiden mit ihm gekreuzigten Verbrecher das Heil: einem Juden, der im rechten Moment Einsicht in seine Sünden zeigt, der im rechten Moment der Stimme seines Herzens folgt und zuletzt Jesus bittet, seiner zu gedenken (s. Kommentar).


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Der gemeinsame Glaube an den Einen Gott (2)

Siehe, die da glauben, auch die Juden und die Christen und die Sabäer – wer immer an Allah glaubt und den Jüngsten Tag und das Rechte tut, die habe ihren Lohn bei ihrem Herrn. Keine Furcht kommt über sie und sie werden nicht traurig sein.“ (2:62)

2. Gottsuche und  Heilsmöglichkeit: ein Trugschluss

Dass das christliche und das muslimische Gottesbild unterschiedlich sind, habe ich in vorangegangenen Artikeln bereits erläutert, und das wird freilich auch nicht in den kirchlichen Dokumenten verschleiert. Die Unterschiede zeigen sich vor allem in Bezug auf die christliche Vorstellung eines „dreifaltigen“ Gottes und in Bezug auf die personale Begegnung Gottes im Menschen Jesus. Diese Gottesbilder bleiben aber letztlich in zeitlich und endlich formulierter Sprache Bilder für die unbegrenzte und ewige Wirklichkeit Gottes, die in ihrer Fülle uns zu erkennen verwehrt bleibt. Und so ist der Mensch, der Gottes Spuren folgt, stets Suchender.

Diese Suche ist zugleich immer auch eine Liebesgeschichte des Suchenden mit Gott. Wie jede Liebesgeschichte berührt sie den ganzen Menschen. Wie jede Liebesgeschichte wird auch Raum gegeben, die Liebe zu bezweifeln und hinterfragen. Und wie jede Liebesgeschichte will sich auch die Liebe zu Gott mitteilen; Liebe genügt nie sich selbst, sondern will vom gemeinsamen Glück erzählen, andere teilhaben lassen. In der Familie drückt sich das u. A. auch in dem Wunsch zweier Partner nach Kindern aus: Liebe ist nur vollkommen, wenn sie sich verschenkt.

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Die zwischenmenschliche Liebe als Bild für die Gottesliebe:
Marc Chagall, Das Hohelied III.
Foto: Christoph Gäbler, www.gaebler.info


Die Begeisterung von Gott – nicht gemeint ist ein kurzes spontanes Glücksgefühl des „Verliebtseins“, sondern vielmehr eine das Leben hindurch tragende Beziehung – mit anderen zu teilen, andere daran teilhabenlassen zu wollen, das ist unsere „Sendung“, „Mission“.

Ein Gläubiger, der bei seiner Gottsuche an einem Punkt meint, Gott nun ganz und gar zu kennen, ist wie ein Liebender, der glaubt, alles über seinen Partner zu wissen. Dieser wird auf kurz oder lang ent-täuscht werden: auch bei einem alten Ehepaar wird es vorkommen, dass die Partner einander noch überraschen. Ein Gläubiger, gleich welcher Religion, der die eigenen Bilder absolut setzt, ist wie ein Liebender, der seine eigene Liebesbeziehung absolut setzt und meint, man könne auf keine andere Art lieben, als auf die eigene. Er verkennt, dass es in jeder Beziehung tausende Spielarten der Liebe gibt, dass jede Liebesgeschichte letztendlich unterschiedlich verläuft.

Letzte Konsequenz ist eine unstatthafte Vermischung: die Verwechslung der Gottesfrage mit der Frage nach dem Heil. Nur, so der Fehlschluss, wer genau „meine“ Gottesbilder teilt, nur wer meiner Religion, nur wer (gerade in Sekten häufig anzutreffen) meiner religiösen Community (oft auch Splittergruppe) angehört, hat Aussicht auf eine jenseitige Erlösung, die das Ziel des Glaubens sei.

Diese Auffassung ist in zweierlei Hinsicht falsch.

1. Im Glauben geht es in erster Linie nicht darum, nach dem Tode gerettet zu werden. Wäre dies das einzige Ziel und der Sinn des Glaubens, dann wäre der Glaube ein letztlich selbstbezogener Akt, der allein auf Verdienst und Lohn beruht. Analog wäre Gott ein selbstbezogener Gott, dessen Mittelpunkt es sei, sich anbeten zu lassen. Tatsächlich ist die Erlösung eine Verheißung an uns Menschen. Allerdings ist sie nicht das Ziel der Glaubensvollzüge. Vielmehr muss die Hinwendung zu Gott, die personale Begegnung mit Gott, letztendlich das Wagnis einer Liebesbeziehung zu Gott, das Ziel des Glaubens sein.

Dieses erfüllt sich nicht in einem fernen Jenseits, sondern bereits im Hier und Jetzt. Die Erlösung ist dann die daraus resultierende Fortführung und endgültige Vollendung dieser Liebesgeschichte mit Gott. Vollendung ist kein Lohn für Treue, wie ihn ein König seinem Vasallen zuteilt, sondern die Bestätigung einer bereits im Diesseits erstrebten Wirklichkeit.

2. Wir bezeugen als Christen von  Gott, dass er alles Seiende aus einem Motiv heraus erschaffen hat: er als der Gott der Liebe will diese Liebe in seiner Schöpfung allem Seienden mitteilen. Aus Liebe hat alles Seiende auf seine Art teil daran: der Stein durch seine Existenz, die Pflanze durch das in ihr geborgene Leben, die Tiere durch ihre Sinnlichkeit und der Mensch durch die Fähigkeit, diese Liebe in Wörter und Worte zu fassen und die Schöpfung von daher zu verstehen und alles geschaffene einzuordnen. Es ist mir unmöglich zu glauben, dass ein solcher Gott der Liebe das grundsätzliche Scheitern eines seiner Geschöpfe deshalb wollen sollte,  weil es in Fragen der Religion eine falsche Entscheidung getroffen hat.

Wenn mein Glaube ganz fest an die Gottesbilder einer konkreten Religion gebunden ist, dann ist diese Sicherheit, die der Glaube bietet, Ausdruck der persönlichen Suche nach Gott. Ein Grundirrtum ist es aber, aus diesem Bild von Gott eine Antwort auf die Frage nach dem Heil abzuleiten, die darauf hinausläuft, die Möglichkeit der Vollendung anderen abzusprechen.   Geht eine Religion davon aus, dass Vollendung nur für die kleine Gruppe der Anhänger ebendieser Religion möglich ist, so läuft sie Gefahr, dass ihre Rede von Gott eine gefährliche Eigendynamik entwickelt, an der nicht zuletzt wir Katholiken in unserer Kirchengeschichte oft genug gescheitert sind.


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Der gemeinsame Glaube an den Einen Gott (1)

Siehe, die da glauben, auch die Juden und die Christen und die Sabäer – wer immer an Allah glaubt und den Jüngsten Tag und das Rechte tut, die habe ihren Lohn bei ihrem Herrn. Keine Furcht kommt über sie und sie werden nicht traurig sein.“ (2:62)

1. Stellungnahmen der Kirchen

Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Sie mühen sich, auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft. Jesus, den sie allerdings nicht als Gott anerkennen, verehren sie doch als Propheten, und sie ehren seine jungfräuliche Mutter Maria, die sie bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen. Überdies erwarten sie den Tag des Gerichtes, an dem Gott alle Menschen auferweckt und ihnen vergilt. Deshalb legen sie Wert auf sittliche Lebenshaltung und verehren Gott besonders durch Gebet, Almosen und Fasten. Da es jedoch im Lauf der Jahrhunderte zu manchen Zwistigkeiten und Feindschaften zwischen Christen und Muslimen kam, ermahnt die Heilige Synode alle, das Vergangene beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen.

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Die Väter des II. Vatikanischen Konzils
Foto: Lothar Wolleh (Wikipedia)


Dies steht nicht in einem Schreiben irgendeines Papstes, eines Bischofs, Theologen oder irgendeiner kirchlichen Institution. Dieses Zitat kommt aus dem Herzen der Katholischen Kirche selbst, ist Bestandteil ihrer Verfassung. In den 1960er-Jahren rief der damalige Papst Johannes XXIII. die Bischöfe zusammen, um der Kirche in einem 5 Jahre währenden Prozess eine neue verbindliche Ausrichtung zu geben. Das obige Zitat stammt aus der Konzilserklärung „Nostra aetate“ (Kap. 3). Die Aussagen dieser Erklärung sind zwar nicht im Sinne eines Dogmas unfehlbar, aber sie „müssen alle und jeder der Christgläubigen als Lehre des obersten kirchlichen Lehramtes annehmen und festhalten…“ (123. Generalkongregation) Mit anderen Worten: wer als katholischer Christ dem obigen Zitat nicht zustimmt, steht mit seiner Privatmeinung damit außerhalb der Lehre seiner Kirche.  

Genauso äußert sich auch auf evangelischer Seite zum Beispiel die Evangelische Kirche in Deutschland:

Im Bekenntnis zum dreieinen Gott bekennen wir Christen ebenso nachdrücklich und eindeutig wie Muslime: ‚Es gibt keinen Gott außer Gott‘ – außer dem einen, einzigen, wahren Gott. Es ist beachtenswert, dass das arabische Wort ‚Allah‘ kein anderer Gottesname ist, sondern einfach ‚Gott‘ bedeutet. Arabisch sprechende Christen übersetzen daher die biblische Gottesbezeichnung mit ‚Allah‘ und gebrauchen das Wort im Alltag wie in Literatur und Liturgie. Im südostasiatischen Umfeld z.B. verwenden viele Christen das Wort ‚Allah‘ bewusst, um sich gegen ein polytheistisches oder sonst unbiblisches Gottesverständnis abzugrenzen. Es besteht hier nicht zufällig eine Gemeinsamkeit. Denn die koranischen Aussagen über Gott haben in der Begegnung mit jüdischen und christlichen Traditionen Kontur gewonnen. So bekehren sich Muslime, wenn sie Christen werden, nicht zu einem anderen als ‚Allah‘, auch wenn sich ihnen damit in Jesus Christus durch den Heiligen Geist ein anderes, neues Gottesverhältnis eröffnet.“ (Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland. Gestaltung der christlichen Begegnung mit Muslimen. Eine Handreichung des Rates  der EKD. 2000.)


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