Die Erschaffung des Menschen ist sowohl in der Bibel als auch im Koran überliefert. Und doch fällt die Unterschiedlichkeit beider Erzählungen auf. Ja, fast scheint es so, dass die Kenntnis des biblischen Berichts – zumindest in den Grundzügen – im Koran bereits als bekannt vorausgesetzt und weitergeführt wird.
Für den Bibelleser ist die Erzählung im Koran eine ungewohnte Art, Geschichte zu schildern und zu interpretieren. Um dies – vor allem im Zusammenhang mit den folgenden Versen – ein Stück weit verstehen zu können, nehmen wir zunächst einmal den Kontext in den Blick.
Mit der Adamsperikope (2:30-48) beginnt ein Abriss der biblischen Geschichte. Im Folgenden werden weitere Persönlichkeiten aus Tora und Bibel vorgestellt: Moses (2:49-123), Abraham und Ismael (2:124-245), David (2:246-257), Abraham und Nimrod (2:258-286). Jede der Erzählungen ist (grob gegliedert und verkürzt dargestellt) zweiteilig gegliedert: auf die Erinnerung an eine biblische Erzählung folgt eine Weisung. So werden wichtige kultische Regelungen ebenso wie moralische Gebote vor dem Hintergrund der Offenbarungsgeschichte vermittelt.
Die Tatsache, dass die Personen nicht chronologisch auftreten (wie der Einstieg mit Adam vielleicht zunächst nahelegen würde), zeigt also, dass es sich im Koran nicht um ein Geschichtsbuch, sondern um eine Art Lehrbuch über das gelungene gottnahe Leben handelt, um eine Rechtleitung, wie Sure 2 wiederholt betont („Dies Buch, daran ist kein Zweifel, ist eine Rechtleitung für die Gottesfürchtigen“. 2:2).
Der biblische Schöpfungsbericht hingegen ist nur implizite eine „Lehrschrift“ – obgleich auch er vieles lehrt. Er ist eine Erzählung. Und eigentlich umfasst er nicht eine, sondern zwei Erzählungen: den (jüngeren) Bericht der Schöpfung von Himmel und Erde in sieben Tagen (Gen. 1,1 – 2,4a) und die (ältere) Adamsperikope. Diese wird in zwei Teilen erzählt: der Erschaffung des Menschen (Gen 2,4b-25) und der Verführung und dem Sündenfall mit der Vertreibung aus dem Paradies (3,1-24).
Die Deutungen der Erzählung sind unter den Theologen sehr unterschiedlich und zeugen von einer tiefen Vielschichtigkeit des Textes. Allen Interpretationen sind aber einige Grundannahmen gemein:
1. Der Mensch verdankt Gott seine Existenz.
2. Adam steht für den Menschen schlechthin. Diese Einschätzung teile ich – vgl. „Der Name aller Dinge“ – mit vielen islamischen Interpretationen des Koran.
3. Zentrales Thema ist der Hiatus zwischen der Mühseligkeit, der Erde die Schätze, die unser Überleben sichern, abzugewinnen auf der einen Seite (symbolisiert durch den Acker, aus dem wir geschaffen sind) und der Ahnung dessen, dass es eine Wirklichkeit gibt, die unsere Lebenswirklichkeit übertrifft (symbolisiert durch den wassergeschwängerten Garten, den Gott für uns vorsah und vorsieht, der uns hier aber verschlossen bleibt.
Diesem Bild vom bewässerten Garten begegnen wir zahlreich im Koran – nicht, wie biblisch, als Schilderung des Urzustandes, sondern als Verheißung der Vollendung im Jenseits für jeden von uns: „Verheiße aber denen, die glauben und das Rechte tun, dass Gärten für sie bestimmt sind, durcheilt von Bächen.“ (Sure 2:25)
Was bleibt?
Des Menschen Ursprung ist die Obhut des für ihn sorgenden Gottes – symbolisiert durch den Garten Eden im biblischen Schöpfungsbericht. Diese Obhut Gottes für uns ist zugleich auch das Ziel unserer Existenz – Gärten sind bereitet, durcheilt von Bächen.
Und die Gegenwart? – Sowohl die Bibel als auch der Koran bezeugen, dass auch hier Gott für uns sorgt.
„Sprich: ‚Was haltet ihr wohl von der Versorgung, die Allah euch hinabsandte und von der ihr das eine verboten und das andere erlaubt habt?‘ […] Wisset, dass über Allahs Freunde keine Furcht kommt und dass sie nicht traurig sein werden. Diejenigen, welche glauben und gottesfürchtig sind. Ihnen gilt die frohe Botschaft im irdischen Leben und im Jenseits. Allahs Verheißungen sind unabänderlich. Das ist die große Glückseligkeit.“ (Sure 10:59a, 62-64)
Die Sorge Gottes für unser Wohlergehen – ar-Rizq („Versorgung“) – ist im Koran als Grundmerkmal für die Begleitung des Menschen durch Gott bezeugt – und gilt eben auch für das irdische Leben. Grundtugend des Menschen ist ein Leben im angstfreien Vertrauen auf Gott.
Jesus predigte ganz ähnlich: „Deswegen sage ich euch: sorgt euch nicht um euer Leben und darum, dass ihr etwas zu essen habt, noch um euren Leib und darum, dass ihr etwas anzuziehen habt. Ist nicht das Leben wichtiger, als die Nahrung und der Leib wichtiger, als die Kleidung? Seht Euch die Vögel des Himmels an: sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr wert, als sie? Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern? Und was sorgt ihr euch um eure Kleidung? Lernt von den Lilien, die auf dem Feld wachsen: sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet, wie eine von ihnen. Wenn aber Gott das Gras schon so prächtig kleidet, das heute auf dem Feld steht und morgen ins Feuer geworfen wird, wieviel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen? Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? Denn um all das geht es den Heiden. Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht. Euch aber muss es zuerst um sein Reich und seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben.“ (Mt 6, 25-33)
Unsere Herkunft aus Gott und unser Ziel auf Gott hin verwirklicht sich bereits zeichenhaft im Hier und Jetzt. Wir Christen fomulieren es so, dass das Reich Gottes nicht nur Verheißung für die Zukunft ist, sondern bereits jetzt angebrochen ist. Seine Sorge galt uns seit Anbeginn, ebenso wie im Jetzt und in der Verheißung des zukünftigen Lebens.
In der christlichen Tradition steht Adam für den Menschen schlechthin. Die hier bezeugte Stelle gibt einen Hinweis darauf, dass diese Auffassung auch koranisch sein mag: wunderbar, wie der Übergang von zwei Abschnitten hier expliziert wird: der Wortlaut der Ausweisung aus dem Paradies (Fort mit euch!“) ist zugleich Einleitung des „rechtleitenden“ Teils: „Fort mit euch von hier allesamt!“ Und dieser Spruch Gottes in 2:38 scheint zugleich beides zu sein: die in Vers 37 angedeutete Rechtleitung, die an Adam ging und die Rechtleitung, die an die „Kinder Israels“ (2:40) gerichtet ist. Adam steht nicht nur für sich selbst, sondern auch – das ist meine Frage an die mitlesenden Muslime – für die „Kinder Israels“ und vielleicht auch für den Menschen schlechthin? – Wie sonst erklärt sich, dass die Ausweisungsformel in 2:38 mit „allesamt“ beendet wird? – Dies würde wohl nicht so formuliert sein, wenn es nur um Adam und seine Frau ginge?!
Hallo Chi,
dank Dir dafür, dass Du meine Ausführung aus dem entsprechenden anderen Artikel hier zitierst. Sei doch so nett und melde Dich einmal kurz noch hierauf; dann werde ich auch den Link zu Deiner Seite reaktivieren. (Dann bin ich mir sicher, dass es sich bei Deinem Kommentar um keinen Link-Spam handelt.)
Bester Gruß!
Jörg
PS: Zitat aus dem Artikel „Der eine sei des anderen Feind?“ – http://www.christ-koran.de/der-eine-sei-des-anderen-feind-236-38/