Hölle (2)

Die Erlösung ist – so fasse ich den letzten Beitrag zusammen – bereits für jeden Menschen (auch und vor allem unabhängig von seinem religiösen Bekenntnis) erwirkt. Deshalb braucht kein Mensch, der sich der Erlösung nicht wissend widersetzt, Angst vor der ewigen Verdammnis zu haben; Gott ist der Erbarmer, der Barmherzige.

Dennoch: Gottes Liebe erzwingt nichts; wer sich radikal und ganz grundsätzlich dieser Liebe Gottes verweigert, tritt selbst aus dem Geschenk der Gnade heraus. Ob es überhaupt einen solchen Menschen gibt, ist offen. In diesem Zusammenhang ist auf eine Asymmetrie hinzuweisen: meine katholische Kirche hat eine große Zahl Menschen heiliggesprochen. Sie hat damit offiziell erklärt, dass diese für sich die Erlösung erwirkt haben. Es hat nie in Bezug auf einen Menschen eine offizielle Erklärung gegeben, dieser habe die Erlösung nicht erreicht.

Höllenfahrt Christi

Mit der Hölle ist uns Christen jedoch noch ein weiteres Motiv geläufig. Jesus ist am Kreuz gestorben und am dritten Tage auferstanden. Was geschah dazwischen? – Unser Glaubensbekenntnis formuliert es so: „hinabgestiegen in das Reich des Todes“.

Gerade der Tod Jesu (und die Notwendigkeit des Todes Jesu, als bräuchte Gott ein Opfer) ist Muslimen und – allgemein – Nichtchristen (aber auch zahlreichen Christen) ein großes Rätsel. Dieser findet aber erst seine endgültige Erfüllung im Abstieg in die Unterwelt.

Stellt man sich die Hölle als ORT vor, so kann man sich diesen Abstieg Christi leichthin als glorreichen Eroberungszug vorstellen. Nicht nur in „apokryphen Evangelien“, Schriften, die das Leben Christi beschreiben, aber nicht den Weg in die Bibel gefunden haben, nicht nur hier kommt Christus als Sieger über den Tod der Hölle einen Besuch abstatten, auch in Kunst und Literatur findet sich diese Auffassung. „Diese gesamte Tradition ist von einem Apriori beherrscht: der Abstieg Jesu ist eine Triumphfahrt eines im Grunde bereits auferstandenen, österlichen Herrn, der vorweg am Karsamstag die Unterwelt besiegt und entleert.“ (von Balthasar, Theologische Besinnung auf das Mysterium des Höllenabstiegs, in: „Hinabgestiegen in das Reich des Todes“, Freiburg, 1982, S. 90)

So denn die Hölle als ORT (vgl. vorhergehenden Beitrag, „Folterkammer Gottes“) erledigt ist, müssen wir auch von diesem Motiv der Höllenfahrt Abstand nehmen. Denkt man jedoch die Hölle als ZUSTAND, so kann sie nicht besucht werden, sondern muss durchlebt, durchlitten werden.

Dann allerdings finden wir genau das Gegenteil vom Triumphalismus früherer Vorstellungen. Statt Aktion finden wir Passivität, Leidung, kein „von Christus“, sondern „an Christus“. So sieht es auch von Balthasar: „In diese Endgültigkeit (des Todes) steigt der tote Sohn ab, keineswegs mehr handelnd, sondern vom kreuz her jeder Macht und eigener Initiative entblößt, als das rein verfügte, als der zur reinen Materie erniedrigte, restlos indifferente (Kadaver-) Gehorsame, unfähig zu jeder aktiven Solidarisierung, erst recht zu jeder ‚Predigt‘ an die Toten.“ (Pneuma und Institution, Einsiedeln, 1974, S. 408).

Der Tiefpunkt der Passion ist nicht etwa, wie es scheinen mag, der Karfreitag, an dem Jesu Tod am Kreuz gedacht wird, sondern der Karsamstag, der Tag der Höllenfahrt Christi. Am Karfreitag wird in einer Liturgiefeier noch des Todes Jesu am Kreuz gedacht: zur überlieferten Stunde seines Todes am Kreuz. Am Karsamstag, dem Tag des Grabes, fällt die Kirche ins Schweigen.

Hölle ist der Verlust aller Beziehung

Was charakterisiert die Hölle? -. Eigentlich nur ein einziges Wort: Beziehungslosigkeit. Die Seelen charakterisiert von Balthasar als „von Gott weg verlorene“ (ebd.), also als solche, die die Beziehung zu Gott – und damit auch die Beziehung zu allem anderen, insbesondere den Mitmenschen – verloren haben.

Wenn nun aber der Sünder aus sich selbst heraus Einsamkeit, absolute Einsamkeit sucht, wenn er nur sein Ich absolut setzt und aus der größten Verweigerung heraus das Du ablehnt, dann begegnet er selbst hier, in der uneinholbaren Beziehungslosigkeit doch Gott wieder, da Jesus, der am Kreuz gestorbene, sich selbst diesem Tod auslieferte. „Niemand kann […] eine solche Gottverlassenheit erleben, wie der Sohn. Das ist das tiefste Leiden, das möglich ist: wissen, erfahrungshaft, wer Gott ist, und diesen Gott (scheinbar für immer) verloren haben.“ (von Balthasar, Gott und das Leid, Freiburg, 1984, S. 8)

Und dieser Beziehungslosigkeit der Seele, der schlimmsten Perversion von Autarkie, antwortet die Kirche in der sinnenfälligsten Weise: indem sie schweigt. Der Tod am Kreuz war noch Kommunikation, Gemeinschaft, Liebestat. Die Einsamkeit der Hölle absolutes Schweigen.

Die Solidarität Jesu, die sich in diesem Leiden ausdrückt, genügt allerdings noch nicht für uns Christen, die Passion ausreichend zu charakterisieren. Ein wesentlicher weiterer Aspekt ist der Stellvertretungsgedanke, der die Grenze zwischen islamischen und christlichen Gottesbildern noch einmal scharfzeichnet. Dazu im folgenden Beitrag (Thema: Vers 2:48) mehr.

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